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I
GEIST UND KÖRPER, SEELE UND LEIB.
/
LUDWIG BUSSE,
PRUIfKaSOR DER l'HILLiSürlilK AN \!t.\l LMVKrfSlIAT KÜNHiSBtHU.
LEIPZKJ
VERLAC HER üf'UßSCHEN BrCiniANm.l'NU 1903
YI Inhalt.
Seite
3. Der T^'pus: Das Psychische ist eine Begleiterscheinung des Physischen. Dieser Typus ist ein Pseudomaterialismus, er ist in Wahrheit Parallelismus 59 — 61
Zweiter Teil. (Hanptteil.) Fsyehophyslgehe Weehselwirkmig oder psjehopliyBiseher ParallelismiiBf • • . . 62—474
Erster Abschnitt Der psychophysische Parallelismus 62 — 379
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte
Formen 63 — 118
Immanente Kritik des ParallelismTis : die QesichtBpnnkte der Hodalit&t, Qnantittt und Qualität und ihre möglichen Kombinationen.
1. Modalität. „Empirischer*^ und „metaphysischer*^ Parallelismus 67 — 86
Unmöglichkeit, den Paiallelismns als eine blobe „Arbeitshypothese** gegen die Weohaelirirkangslehre geltend zn machen. Der Farallelismns mad, wenn er einen dem kansalistischen (der Wechselwirkongslehre) entgegengesetzten Standpunkt bedeuten irill, als eine dogmatische, metaphysische oder natnr* philosophische Theorie auf treten.— Kritik der Ansichten Wund ts und Münster- bergs. Unlmltbarkeit der von Mfinsterberg yertretenen Zweisealentheorie.
2. Quantität Partieller und universeller Parallelismus . . . . 86 — 101
Unmöglichkeit des partiellen Parallelismus: der Parallelismus muT^, wül er konsequent sein, die universelle Fassung sich zu eigen madien. — Nachweis, da£l Wundt und Jodl trotz ihrer Ablehnung des universellen Paiallelismns denselben doch tatsichlioh acceptieren.
3. Qualität. Materialistischer, realistisch -monistischer, idealistisch- monistischer und dualistischer Parallelismus 101 — 109
Der materialistische Paiallellsmus ein Pseudoparallelismus. Seine Unmöglich- keit und Inkonsequenz. — Echtheit der drei übrigen Formen.
Schlufszusammenfassung: der Parallelismus mufs dogmatisch- meta- physisch und unirmsell, er kann realistisch -monistisch, idealistisoh - moni- stisch und dualistisch sein (S. 110—118).
Zweites EapiteL Die Vorteile des Parallelismus 119 — 129
Die von ihm gebotene Möglichkeit, die Ansprüche idealer Weltauffassung mit der Forderung materialistischer Naturerkl&rung zu vereinigen. Seine YertrUg- lichkeit mit den Prinzipien der Geschlossenheit der Naturkausalitftt und der Erhaltung der Eneigie.
Drittes Kapitel. Die Nachteile des Parallelismus 129 — 379
1. Der metaphysische Unterbau 129 — 183
a) Der realistisch -monistische Parallelismus (Neo-Spinozismus,
Identitätsphüosophie) 130 — 144
Die Zweiseitentheorie. Unmöglichkeit , zu zeigen , wie Geist und KOiper zwei verschiedene Seiten oder Darstellungsweisen eines identischen Realen sein kOnnen. Unzulänglichkeit aller zur Veranschaulichung herbeigezogenen Bei- spiele und Bilder. Der realistisch - monistische Parallelismus bleibt tatsächlich im Dualismus stecken. — Unmöglichkeit auch des Gedankens, Geist und KOtper als an sich zugleich identisch und verschieden aubufsssen.
b) Der idealistisch -monistische Parallelismus 144 — 182
Charakterisierung des Standpunktes: Parallelismus von Erscheinungen und intelligiblen Yoigttngen. — Notwendigkeit, auf demselben die Identität der beiden parallelen Reihen fallen zu lassen. Kritik der Ansichten Ebbinghaus' undHeymans*. — Auch das Parallel prinzip lädst sich nicht ohne Änderung
Inhalt vn
Seite iB die idaaliatische Eonstroktion. mit lunQjbernehmen ; als Vorstellungen
stehen die physischen Yorgänge zu den übrige psychischen YorgSngen in einem YerhftltDis wechselseitiger Kausalität. Man maA die Yorstellnngen, -welche sich anf physische Yoigfinge beziehen , objektivioen , um den Pazal- lelismns durchführen zn können. — Möglichkeit, einen Parallelismns von phyrischenPhänomenen ond psychischen inteUigiblen Yoif^gen mit einer idea« listiaohen Metaphysik za verbinden , Zorfickweisnng der sich gegen diese Möglich- keit richtenden Angriffe Erhard ts auf Fanlsen nndHeymans. — DerParal- lelismas aber jedenfalls nicht die notwendige Konsequenz des Idealismus; Kritik der Ansichten Hey maus' und Paulsens. — Als solche erscheint viel« mehr die Theorie psychophysischer Wechselwirkung, die mit idealistischer Meta- physik weit besser zusammenstimmt als der psychophysische Parallelismus. Denn der letztere l&fst sich auf ideaUstiseher Grundlage nicht völlig durchführen, es bleibt auf der psychischen Seite immer ein Best übrig, welcher der Forderung duiekgSngiger Parallelitttt der beiden Beihen widerstreitet und zu einer kausali- stiachen Auffassung des YerhJlltnisses von Geist und Körper nötigt. Nachweis, dab das sowohl beim subjektiven wie beim objektiven Idealismus der Fall ist. — Zusammenfassung des Geeamteigebnisses.
2. Die EüDstliclikeit dor parallelistischen Theorie. Der Parallelis-
mns und das Eausalitätsprinzip 183 — 208
Der psychophysische Parallelismns keine Tatsache, sondern eine Deutung der Tatsache, daDs zwischen psychischen und physischen Yorgftngen ein Yerhältnis wechselseitiger Abhängigkeit besteht. Kritik Wundts. — Die kausalistische AnfEassung die natürlichere Deutung dieser Tatsache. Nicht das Kausalit&tsprinzip an sich , sondern vielmehr spezielle mit ihm verbundene und identifiziexte An- nahmen (Prinap der geschlossenen Naturkausalität , Prinzip der Erhaltung der Energie) stehen der kausalistischen Ansicht im Wege. So bei Münsterberg, Jodl und Wundt. — Aber diese Prinzipien sind nicht mit dem Kausalitats- prinap identisch und keine notwendigen Konsequenzen desselben. Kritik Wund ts. — Gesamtergebnis.
3. Die Eonsequenzen des psyohophysischen Parallelismns und ihre Unduichführbarkeit 208—378
a) ündurchführbarlkeit der aus dem ps'ychophysischen Parallelis- mns resultierenden Forderung, zu allen psychischen Eigen- tümlichkeiten die physischen Analoga anzugeben: der auf psychischer Seite verbleibende Rest 208 — 229
Zurückweisung des aus einer falschen AufCsssung des Prinzips psychophysischer Kongruenz resultierenden Einwandes gegen den Parallelismus, dafo die inhalt- liehe Bedeutung der psychischen Yoigftnge sich auf der physischen Seite nicht wiedergeben lasse. Erläuterung dieses Miftverständnisses an dem Beispiele Spinozas. — Inkonsequenz Wundts. — Unmöglichkeit aber, für dss be- ziehende Bewußtsein und seine Synthesen ein physisches Analogen zu finden. Fehlachlagen des Münster bergschen Bettungsversuches. Die Einheit desBe- wuÜBtseins unä die Unmöglichkeit, ein physisches Analogen dafür ausfindig zu machen. Behmke contra HOffding.
b) Die Geschlossenheit des psychischen und des physischen Geschehens und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten. Biologische und kulturgeschichtliche Eonsequenzen. Die Automatentheorie 230—321
a) Die psychische Seite 230—234
Bier besteht keine unüberwindliche Schwierigkeit. Zurückweisung der Einwen- dungen Behmkes und Wentschers, die Möglichkeit eines rein psychischen Kausalzusammenhanges betreifeDd.
▼HI Inhalt
Seito ß) Die physische Seite 234—321
Schwierigkeit, das Prinzip rein physischer Yeronaohiing uid Bewirkong, die Konseqaenz des Parallelismns , aof dem Gebiete der organischen, spezieil der animalischen Natur darchzafOhren. Der Neovitalismns. — Unmöglichkeit, die Antomateniheorie in der Biologie dorchzoftthren. Das Psychische eine Aos- stattnng der Lebewesen im Kampfe nms Dasein. Lust and Schmen. — Unmög- lichkeit, dleKaltnrgeschichte nach der Aatomatentheorie physikalisch za kon- Btraieren. Das „Ansterlitz- Argument ". — Der Versach idealistisch denkender ParalleUsten , den Absorditäten der Aatomatentheorie daroh Verweisong aaf die idealistische metaphysische Grundlage za entgehen , ist ein Teigeblicher. Kritik der Ansichten Paalsens and Heymans. — Unmöglichkeit auch des Biehi- schen Vennittlnngsstandpanktes. — Nachweis, daTs viele ParalleUsten selbst anf biologisch -geschichtlichem Gebiet inkonsequenterweise der kaosalistischen Anffassang baldigen. Schopenhaaer, Spencer, Haeckei, Jodi, "Wandt. — Die Versadie, alle Handlangen lebender Wesen physiologisch zu konstruieren. In welchem Sinne das „unmSglich" ist. Uire Abhängigkeit von den psychologischen Tatsachen. Unmöglichkeit, den hypothetisch anzanehmen- den physiologischen Zusammenhang als einen eindeutig bestimmten und not- wendigen, alle Zof&lligkeit aosschliefiienden hinzustellen. James. — Überblick über die hauptsächlich eingeschlagenen Richtongen. DieAssociationstheorie: Ziehen. Kritik derselben. Das Willkürliche und Gezwungene der Theorie, Zufälligkeit und Mehrdeutigkeit der von ihr angenommenen Prozesse. Erläu- terung dieser Mängel an demMeynertschen Schema. Die Aktionstheorie: Münsterberg. Kritik derselben. Sie talit die Hauptfohler der Associations- theorie und vermag daher den komplizierten Vorgängen des höheren tierischen und insbesondere des menschlichen Lebens ebensowenig gerecht zu werden wie jene. — Hinwels auf Suggeetion und Hypnose. — Das „Telegramm -Argument". Zurückweisung ftüscher Auffassungen desselben. Zurückweisung des Einwandes, dal^ die Heranziehung des psychischen Faktors den Zusammenhang nicht deat- lioher mache. Cognitio circa rem und oognitio lei.
c) Die psychologischen Konsequenzen des Parallelismus. Die pluralistische Seelenlehre. Die ^Mind-Stuff*^ -Theorie. Mecha- nistische Auffassung des seelischen Lebens: Association contra Apperception 322—378
a) Der psychologische Pluralismus: die Psycüologie ohne
\pvxri oder die subjektlose Psychologie 322 — 342
Unmöglichkeit, die Seele im Sinne der pluralistischen Psychologie lediglich als den Zusammenhang der psychischen Vorgänge selbst anzusehen. Die Einheit des BewufHtseins fördert mit Notwendigkeit ein einheitUchee Seelensabjekt. Wie dasselbe zu denken ist und wie es nicht zu denken ist; in welchem Sinne man Ton einer Seelensubstanz reden darf und mub. Zurttckweisnng der Analogie der Einheit des KOrpers. Kritik Ebbinghaus'undWundts. — Unentbehrlichkeit und Wert des Substanzbegrül^ für die Psychologie. Inkonsequenzen Wundts und Paulsens.
ß) Die psychologische Atomistik (Mind-Stuff- Theorie) « . 342—345
Sie ist die notwendige Konsequenz des Parallelismus, aber unvereinbar mit den Tatsachen des Bewu&tseins. Inkonsequenz Ebbinghaus', Wundts, Ziehens, Biehls, welche den Parallelismus vertreten, die Mind-Stuif- Theorie aber ablehnen.
y) Die mechanistische Psychologie (Associationspsychologie) • 345 — 378
Sie ist die notwendige Konsequenz des Parallelismus: dem Mechanismus der physischen Vorgänge mub ein solcher der psychischen Vorgänice parallel geheo. Unmöglichkeit indessen, die mechanistische Konstruktion der psychlRc-hen Vor- gänge restlos durchzuführen. Die höheren psychischen Leistungen lassen sich nicht in einen Mechanismus von Psychomen oder E'ftychosen auflösen. Elritik •des Ziehen sehen Standpunktes. — Die Antinomie des logischen Denkens und
Inhalt. IX
S«ito seiner Notweadifkelt nnd des htosal - meohsnischen ZosammenhaBtt der Oelüin-
prcnesse eine Konseqnens des psyohephysischen PuaUelismns. Liebmenn. Unmöglichkeit, sie dnroh die Annahme einer prSstebilierten Harmonie von Natnigesetzen und logisch -teleologischem Zosammenhang auf parallelistischem Boden ra beseitigen. — Ansbliok anf weitere Antinomien ethischer Natur. — Unvereinbarkeit der Wnndtschen Apperceptionstheorie nnd des Wandt- Paul senschen VolnntaEiamna mit dem psychophysischen Paiallelismas , welcher die Assodationstheoiie mit ihrem dnrchgingigen psychischen Mechaniamns fordert. — Anfhebong der meisten im zweiten Kapitel erwähnten Vorteile des Parallelismns : dem Geistigen wird seine Eigenart, in der sein Wert liegt, ge- raubt. Inkonsequenz Paulsens und Ziehens. — Fechners und Paulsens Unsterblichkeit^flaube verst6bt gegen die Eonsequenxen des Parallelismus. Die Milnsterbergsohe Lehre von der doppelten Wahrheit ist wissenschaftlich un- haltbar.
Oesamtergebnis der kritischen Untersuchung des psychophysischen Paral- lelismus (S. 378 —879).
Zweiter Äbseknitt Die psyohophysische Weohselwirknngstheorie . . 380 — 474 Erstes Kapitel. Die Vorteile der Theorie 380—382
Sie stellt die natfiriiehere Auffiusung des Verhiltnisses von Geist und KSrper dar, entspricht dem logischen Bedtlifnis des Denkens, die Welt als ein einheit- liches Ganze anzusehen, besser als der Parallelismus, vermeidet die paradoxen und absurden Konsequenzen desselben , wird der Natur des geistigen Geschehens ge- recht und stimmt mit idealistischer Metaphysik und idealer Weltauffassung besser zusammen als der Parallelismus.
Zweites Kapitel. Schwierigkeiten der Weohselwirkangstheorie . . 382—474
1. Das Prinzip der Geschlossenheit der Naturkaosalitäi Philosophie
und Natorwissenschaft 382—403
Recht der Philosophie, die letzten hjrpothetischen Annahmen und Voraus- setzungen der Naturwissenschaft auf ihre Allgemeingfiltigkeit hin zu prftfen. Unberechtigtheit der Forderung, daüi sich die Philosophie den jeweilig heiTsohenden naturwissenschaftlichen Theorien anzupassen habe. — Das Prinzip /
der Geschlossenheit der NaturkausalitRt , das der Wechselwirkungslehre ent- '
gegensteht, ist kein denknotwendiges Prinzip. Es ist aber auch kein durch ein rechtmllUges InduktionsverlUiren zu allgemeiner Gültigkeit erhobener Satz, denn es ist nur auf unorganischem Gebiet ausnahmslos verifiziert worden. Die Über- tragung sdner Gültigkeit auf das organische Gebiet ist deshalb nicht ohne weiteres gestattet, weil hier psychische Faktoren, die auf unorganischem Gebiet Muten, tatsächlich vorhanden sind und schwerwiegende Gründe für ihr Ein- wirken auf das physische Geschehen geltend gemacht werden. Solange diese CMnde nicht beseitigt sind , ist die Annahme der dnrchgingigen Geschlossenhdt der Natnrkausalität lediglich eine petitio prinoipii ; diese Gründe durch das Axiom der Qeschl. d. N. selbst beseitigen zu wollen , bedeutet einen ciroulns vitioeus.
2. Das Prinzip der Erhaltung der Energie 403 — 474
Unterscheidung der versdiiedenen in dem Prinzip enthaltenen Gedanken: das Äquivalenzprinzip und das Konstanzprinzip. — Auffassung des Bneigie- prinzips bei verschiedenen Forschem. — Mechanistiache und energetische Auf- fassung des Prinzips. — Das Konstanzprinzip unvereinbar mit psycho- physischer Wechselwirkung. Versuche, die Vereinbarkeit darzutun. Das Psychische als Energie, von Grot, Stumpf, Külpe, Ostwald. Un- möglichkeit dieser Ansicht wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den Tatsachen des psychischen Lebens. — Das Wirken ohne EnergieverEnderung: die Doppeleffekt- und Doppelursachentheorie: Stumpf, Rehmke, Erhardt, Wen ts oh er. Unmöglichkeit der Doppeleffekttheorie: kein phy- sisches Verursachen ohne Energieanfwand. Unmöglichkeit auch der Doppel- waaehentheorie: keine physische Wirkung ohne Energievermehrung. Die Doppel-
X Inhalt.
Seite nrsachentheorie vom Parallelismns nicht zu nntorecheiden. — Wentichers
Versuch, die Seele potentielle physische Energie anslösen za lassen, ohne den Betrag derselben zn vermehren. Zorückweisang desselben: keine Aus- lOsong ohne Enotgievermehrong mSglich. Anch Bichtungsänderung be- stehender Bewegung nicht ohne Energiezuwachs möglich. Kritik der An- sichten Hartmanns und EGnigs. — Nutzlosigkeit aller dieser Versuche insofern aU, selbst wenn das Eonstanzpiinzip durch die ihnen zu Grunde liegenden Annahmen gewahrt bliebe, doch alle anderen Naturgesetze durch dieselben und im Sinne derselben verletzt würden. — Das Prinzip der Er- haltung der Energie ist kein denknotwendiger Satz. Das Äqnivalenzprinzip ist eine auf rechtmäßigem Induktiven Wegre gewonnene Verallgemeinerung, das Eonstanzpiinzip kann dagegen seiner Natur nach gamicht induktiv bewiesen werden. Es beruht auf der Voraussetzung der Geschlossenheit der Naturkausalität (Wundt, Eroman, Hartmann, Thiele) und teilt daher den Charakter desselben: es ist eine petitio prlncipii, ein Glaubenssatz, keine wissenschaft- liche Wahrheit. Mit ihm die Wechselwirkung widerlegen zu wollen heibt daher einen circulus vitiosus begehen. — Mit dem Äquivalenzprinzip, das allein als naturwissenschaftliche Wahrheit übrig bleibt , ist aber die Wechselwirkungslehre durchaus vereinbar, da dieses von vornherein nichts anderes besagt, als dab beim Wirken der Dinge aufeinander jedes verbrauchte Quantum physischer Energie durch ein gleich grofsee Quantum physischer Energie derselben oder einer anderen Art ersetzt wird. — Erledigung anderer Einwände, des Trägheits- gesetzes (HÖffding), des Spiritismus (Paulsen) und des Perpetuum mobile (Ebbinghaus).
Gesamtergebnis: die Wechselwirkungstbeorie eine einwandfreie, dem Parallelismus vorzuziehende Theorie (S. 474).
Dritter Teil. Sehlafebetrachtang:. Gmndslisre einer ideaüstlBeh- spiritnalistlsehen Weltansehannng 475— 4S2
Skizze des Weltbildes nach der Voraussetzung psychophysischer Wechselwirkung und bei Annahme der Realität der KOrperwelt. Abhängigkeit de« Geistigen von der physischen Entwicklung nach seiner Entstehung und seiner Weiterentwicklung. Stetigkeit der physischen und XJnstetigkeit der psychischen Entwicklung (Stumpf). Einwirken des Geistigen auf den Ablauf des körperlichen Geschehens. — Ab- änderung dieses Weltbildes bei Zugrundelegung einer idealistisch-spiritualistischen Anschauung. Der monadologische Spiritualismus, Dingmonaden und Seelen- monaden. Der objektive Idealismus. ~ Verhältnis beider zueinander. Ihre Über- einstimmung in der kausalistischen Auffassung des Verhältnisses von Geist und EÖrper, Seele und Leib.
Naehträire 483-484
Aatorenregistcr 486—488
s
\
Einleitung.
Die Frage, deren Erörterung das Thema dieses Baches bildet: wie das Verhältnis von Geist und Körper, Seele und Leib gedacht werden müsse, hat, seitdem die Erkenntnis der Yerschiedenartigkeit des geistigen und des körperlichen Seins und Geschehens ein fester Besitz des menschlichen Bewußtseins geworden, das Nachdenken der Menschen stets in hohem Maße beschäftigt Das ist sehr erklärlich, denn sie ist von großer und allgemeiner Bedeutung. Der Gegensatz Ton Geist und Körper durchzieht unser gesamtes Denken, Fühlen und Wollen; auf allen Gebieten menschlicher Betätigung, in der Wissenschaft wie in der Kunst, in der Religion und in der Erziehung, ja auch in fast allen Beschäftigungen des täglichen Lebens spielt die Unterscheidung des Geistigen und des Körperlichen eine große und bedeutsame Bolle. Ihr zufolge sondern wir die Wissenschaften in die beiden großen Gebiete der Natur- und der Geisteswissenschafben. In der Philosophie gar unterscheiden sich ganze Systeme, ganze Richtungen von einander durch die Stellung, die sie zu der Frage nach dem Verhältnis von Geist und Körper einnehmen. Und das ist nur natürlich. Denn nicht nur der Psycholog und der Physiolog haben ein Literesse daran, genau zu wissen, wie sich die geistigen Vorgänge zu den körperlichen und umgekehrt physische Prozesse zu psychischen Terhalten, sondern auch der Metaphysiker und der Religionsphilosoph, der Erkenntnistheoretiker und der über die Grundlagen seiner Wissen- schafk nachdenkende Naturforscher sind genötigt, zu dieser Frage Stellung zu nehmen und von dieser Stellungnahme die Gestaltung ihrer grundlegenden Ansichten zum nicht geringen Teil abhängig zu machen. Das Problem des Verhältnisses von Geist und Körper hängt mit einer ganzen Reihe von Einzelfragen sowohl als solchen der allgemeinen Weltanschauung aufs engste zusammen, übt einen be- stimmenden Einfluß auf sie aus und wird selbst von ihnen beein- flußt Sehr treffend charakterisiert Lieb mann diese centrale Stellung und Bedeutung unserer Frage mit den Wollen: »Die berüchtigte
Basse, Oeist und KOrper, Seele und Leib. 1
2 £inleitang.
Frage, welches denn bei Tieren und beim Menschen das wahre, innere Verhältnis zwischen Leib and Seele sei, greift über das Gebiet wirklicher und möglicher Erfahrung weit hinaus, läßt sich auf em- pirischem Wege gar nicht entscheiden, liegt ganz und gar im Felde der Metaphysik und bildet dort, wie bekannt, den Knotenpunkt, Ton dem aus die Vielheit der dogmatischen Systeme wie Dualismus und Monismus, Spiritualismus und Materialismus, das System des Okkasionalismus, das der prästabilierten Harmonie, das neuplatonische Emanationssystem usw. nach den verschiedensten Richtungen hin divergieren.« *)
So ist es denn nicht verwunderlich, daß, nachdem sie um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in dem sogenannten Materialismus- streit die Gemüter aufis lebhafteste erhitzt hatte, unsere Frage auch gegenwärtig wieder einmal im Vordergrunde der philosophischen Dis- kussion steht und ein lebhafter Kampf der Ansichten um sie ent- brannt ist. Doch hat der Streit einen anderen Inhalt und damit ein anderes Aussehen erhalten. An die Stelle des Materialismusstreits ist der Farallelismusstreit getreten, d. h. der Streit darüber, ob zwischen dem Geistigen, über dessen Unabhängigkeit von dem Körperlichen sich die Beteiligten mit wenigen Ausnahmen einig sind, und diesem letzteren lediglich ein Verhältnis gegenseitigen Ent- Sprechens oder der Parallelität, — oder ein solches gegenseitiger kau- saler Einwirkung, d. h. also der Wechselwirkung, allgemein oder in besonderen Fällen, angenommen werden müsse. Diese Streitfrage nun, welche in den letzten Jahren eine große Anzahl Federn in Bewegung gesetzt und eine umfangreiche, immer mehr anschwellende Literatur veranlaßt hat, werden auch wir in diesem Buche vornehmlich zu erörtern haben. Da wir aber das Problem des Verhältnisses von Geist und Körper, Seele und Leib nach allen möglichen Seiten hin und in möglichst umfassender Weise betrachten wollen, so werden wir doch auch den übrigen möglichen Standpunkten, insbesondere dem Materialismus unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden nicht umhin können.
Auf die allgemeine Frage nach dem Verhältnis der geistigen zur körperlichen Welt lassen sich zunächst vier an sich und in abstracto mögliche Antworten geben; ihnen entsprechen ebensoviel verschiedene philosophische Standpunkte, nämlich
1) Gedanken und Tatsachen, Bd. I. Straßbarg 1899, S. 286.
Einleitung. 3
1. Der materialistische Standpunkt,
2. der idealistisch -spiritualistische Standpunkt,
3. der dualistische Standpunkt,
4. der parallelistisch- monistische Standpunkt
Yon diesen erkennt der erste wahrhafte BeaUtät allein der Materie zu; das Geistige ist ihm eine unter bestimmten Bedingungen auf- tretende Eigenschaft, ein Verhalten oder eine Funktion der Materie. Umgekehrt ist für den idealistisch -spiritualistischen Standpunkt alle Bealität geistiger Art, die körperliche Welt dagegen nur eine Erschei- nung für das auffassende Bewußtsein. Dem Dualismus zufolge stellen das Geistige und das Körperliche zwei gleich ursprüngliche und gleich reale Arten des Seienden dar, die, von spezifisch verschiedener Art und Beschaffenheit, doch aufeinander einwirken und sich gegenseitig be- einflussen. Der parallelistisch -monistische Standpunkt endlich erblickt in dem Geistigen und in dem Körperlichen die beiden zu einander gehörigen, sich überall entsprechenden und einander parallel gehenden, aber nirgends aufeinander einwirkenden Formen oder Weisen , in denen das Wirkliche sich uns darstellt und zu erkennen gibt
Yon diesen in abstracto möglichen vier Standpunkten scheidet nun aber bei näherer Betrachtung für die das Thema unserer Unter suchung bildende Frage der zweite, der idealistisch -spiritualistische Standpunkt, als ein Hauptstandpunkt aus. Denn da er das Körper- hebe im eigentlichen und metaphysischen Sinne als ein Reales gar nicht gelten läßt, so kann er auch (ebensowenig wie sein Antipode, der Materialismus) ein Verhältnis von Geist und Körper im eigent- lichen und metaphysischen Sinne nicht anerkennen. Wenn alle Realität geistiger Art ist, so gibt es auch nur Verhältnisse von Geistigem zu Geistigem, nicht aber ein Verhältnis des Geistigen zu etwas, das gar nicht vorhanden ist Stellen sich die Vertreter dieses Standpunktes dagegen auf den Boden rein empirischer Betrachtung und lassen unter dieser Voraussetzung die körperlichen Prozesse, die vom Standpunkt metaphysischer Betrachtung aus sich in geistige auflösen, als eine be- sondere, von den psychischen zu unterscheidende Art von Gescheh- nissen gelten, so kann nunmehr das Verhältnis derselben zu den geistigen Vorgängen nur das der Parallelität oder der Wechselwirkung sein. Demnach ist der spiritualistisch- idealistische Standpunkt ein sol- cher, der entweder mit der paralleUstischen oder der (wenn es gestattet ist, die Annahme einer Wechselwirkung zwischen Körper und Geist mit diesem Wort kurz zu bezeichnen) kausalistischen Auffassung des Verhältnisses von Körper und Geist verbunden werden, nicht
2*
4 Einleitung.
aber denselben als eine besondere Auffassung dieses Verhältnisses selbst entgegengesetzt werden kann. Diese Bemerkung gilt gleichmäßig von den beiden metaphysischen Anschauungen, welche in der Behauptung, daß alle Realität geistiger Art sei, übereinstimmen und daher von mir unter der gemeinschaftlichen Bezeichnung: idealistisch- spiritualisti- scher Standpunkt zusammengefaßt sind: dem Idealismus und dem (monadologischen) Spiritualismus. Der Unterschied zwischen diesen beiden Standpunkten ist ein teils metaphysischer, teils erkenntnis- theoretischer. Für den Idealismus ist die körperliche Außenwelt ledig- lich Erscheinung, Yorstellungsinhalt eines Bewußtseins, und geht darin vollständig auf. Sie ist also nicht Erscheinung von etwas, das, an sich unkörperlich, unabhängig von dem Bewußtsein, dem es als ein Körper- liches erscheint, existiert Es gibt auf diesem Standpunkt keine intelligiblen »Dinge an sich« als Ursachen der vorgestellten körper- lichen Dinge, es gibt keine »an sich« reale »Außenwelt«, sondern die körperlichen Dinge sind nur als vorgestellte wirklich und können nur als solche wirklich sein, ihr esse ist perdpi, die »Außenwelt« ist bewußtseinsimmanent (Immanente Philosophie) und nur als Inhalt des Bewußtseins, als solcher aber auch schlechthin real, ebenso real wie das Bewußtsein selbst Auf dem Boden rein empirischer Betrachtung begegnet sich der Idealismus mit dem naiven Realismus. Der Idealis- mus kann nun wieder ein subjektiver oder ein objektiver sein. Der erstere macht das körperliche Universum zu einem Phänomen für das Bewußtsein des individuellen endlichen Subjekts. Das Phänomen der körperlichen Welt ist demnach so oft vorhanden, als es indivi- duelle Bewußtseinssubjekte gibt. Genau genommen ist freilich die Körperwelt als ein Ganzes überhaupt nicht vorhanden, da jedes der unendlich vielen endlichen Subjekte nur ein Fragment, einen Aus- schnitt von wechselndem Inhalt und bald größerem, bald kleinerem, immer aber endlichem Umfang wahrnimmt Die Körperwelt als Ganzes, das physische Weltall ist auf diesem Standpunkte nur eine ideale Kon- stiuktion, eine Fiktion. Denkt man die in den einzelnen endlichen Bewußtseinen vorhandenen Bilder der körperlichen Welt hinweg, so verschwindet die gesamte physische Wirklichkeit, es bleibt nichts von ihr übrig. Der objektive Idealismus läßt dagegen die Körperwelt nicht in den Vorstellungsinhalten der einzelnen endlichen Bewußt- seine aufgehen, sondern macht sie zu einer konstanten Vorstellung dos absoluten unendlichen Subjekts, in welchem die endlichen Sub- jekte sämtlich als seine Einschränkungen enthalten sind. Die phy- sischen Weltbilder, welche in diesen endlichen Bewußtseinen enthalten
Eialeitang. 5
sind, sind Besonderheiten des allgemeinen absoluten physischen Welt- bildes, das sie weder dem Umfang noch auch dem Inhalt nach er- schöpfen. Denkt man sich alle diese Weltbilder hinweg, so bleibt als von den endlichen Bewußtseinen unabhängige, ihnen gegenüber also objektiv reale Wirklichkeit übrig das von dem absoluten Be- wußtsein vorgestellte physische Weltbild. Damit auch es verschwinde, müBte man folglich auch das absolute Bewußtsein hinwegdenken. Ebenso ewig und unvergänglich wie dieses letztere selbst ist auch der von ihm angeschaute und wahrgenommene physische Kosmos. Nichts- destoweniger ist und bleibt er Vorstellung, Bewußtseinsinhalt Sein ganzes Sein besteht in seinem Yorgestelltwerden durch das absolute Bewußtsein und geht darin vollständig auf. Er ist völlig bewußtseins- immanent, ihm liegt nichts Transcendentes zu Grunde. Die Gesetz- mäßigkeit, welche er zeigt; ist die psychologische Gesetzmäßigkeit des absoluten Bewußtseins selbst Die Weltanschauung, welche der materiellen Welt diese Art von Wirklichkeit zuschreibt, muß demnach als Idealismus bezeichnet werden; sie ist objektiver Idealismus.
Was der Idealismus in allen seinen Schattierungen verneint, be- hauptet dagegen der Spiritualismus, dem die monadologische Form, in welcher Leibniz ihn vorbildlich ausgeprägt hat, wesentlich ist Aach auf dem monadologischen Standpunkte ist die sinnlich wahr- nehmbare und ausgedehnte Stoffwelt Erscheinung für ein auffassendes — endliches — Bewußtsein, aber doch Erscheinung von etwas, das nicht wieder Erscheinung ist, von bewußtseinstranscendenten Dingen an sich. Indem sie solches lehrt, gibt sich die in Rede stehende Welt- anschauung im Gegensatz zum Idealismus als eine realistische zu er- keimen; und zwar ist sie, insofern sie weiter über die Natur des der Erscheinung der körperlichen Welt zu Grunde liegenden Realen etwas auszusagen unternimmt, transcendentaler Realismus. Jenes Reale faßt der Spiritualismus nun als etwas Geistiges, Spirituelles, dem in imserem Bewußtsein sich offenbarenden geistigen Leben Ana- loges, als eine Welt geistiger, uns ähnlicher Wesen, Seelen, Monaden auf. Auch hier also ist alle Realität Geistigkeit, aber der Umfang des die Wirklichkeit konstituierenden Geisterreiches ist ein grösserer als beim Idealismus. Außer den von letzterem angenommenen endlichen Bewußtseinen und dem alle endlichen Bewußtseine umfassenden ab- soluten Bewußtsein, welches auch der Spiritualismus annehmen kann, ja anzunehmen nicht umhin kann, umfaßt er noch die ganze unend- liche Fülle niederer geistiger Wesen oder Monaden, welche, indem sie ein menschliches Bewußtsein afßzieren, sich diesem als ein räum-
6 Einleitung.
lieber Zusammenhang körperlicher Dinge darstellen, um sich von dem Wesen dieser unserem Geist analogen, zugleich aber durch eine ungeheure Eluft von ihm getrennten, tief unter ihm stehenden Mo- naden einigermaßen eine Vorstellung zu machen, muß der Spiritualist eine unendliche Anzahl von Abstufungen oder Graden der Bewußtheit annehmen und schließlich zu unendlich schwachen Bewußiseinsgraden, wenn nicht gar zu dem Gedanken eines unbewußten geistigen Daseins seine Zuflucht nehmen.
Auf alle diese Anschauungen, den Idealismus in seinen ver- schiedenen Schattierungen sowie den Spiritualismus, werden wir später zurückzukommen haben; an dieser Stelle genügte es, sie im allgemeinen zu charakterisieren. Denn die Hervorhebung ihrer hauptsächlichsten Eoincidenz- und Differenzpunkte erfolgte nur zu dem Zwecke und in der Absicht, zu zeigen, daß sie der Frage nach dem Verhältnis der geistigen und körperlichen Welt in völlig gleicher Weise gegenüber- stehen, von diesem Gesichtspunkt aus also als gleich betrachtet werden können. Offenbar kann weder der Idealismus noch der Spiritualismus ein Verhältnis des Geistigen zum Körperlichen im eigentlichen und metaphysischen Sinne einräumen. Der Idealismus, der nur Bewußt- seine und deren teils auf das Subjekt, teils auf Objekte bezogene Vorstellungen kennt, kann zwar die Vorstellungen der körperlichen Dinge zu anderen Vorstellungen der Seele in ein Verhältnis setzen, nicht aber die Inhalte dieser Vorstellungen, die körperlichen Dinge selbst, die ja als selbständige für ihn nicht existieren. Der Spiri- tualismus kann zwar die dem Phänomen der körperlichen Welt zu Grunde liegenden intelligiblen Dinge, die Monaden, in ein bestimmtes Verhältnis zu den höheren Bewußtseinssubjekten setzen, nicht aber die körperliche Welt selbst, die ja nur Phänomen ist. Stellen wir uns auf den Boden strengster metaphysischer Auffassung, so kann daher die Stellung des Idealismus wie des Spiritualismus zu der Frage nach dem Verhältnis von Körper und Geist, Leib und Seele nur die sein, daß sie die Möglichkeit eines derartigen Verhältnisses und damit die Berechtigung, diese Frage überhaupt aufzuwerfen, leugnen. Für diese Standpunkte löst sich mithin das Problem letzten Endes so, daß es für sie nicht existiert, für sie hier kein Problem vorliegt. Vertauschen sie aber die strenge metaphysische Auffassung mit der laxeren, der Anschauung des gemeinen Bewußtseins sich anbequemenden, welche die Inhalte der Vorstellungen körperlicher Dinge zu verselbständigen und für die Zwecke der empirischen For- schung den übrigen Bewußtseinsinhalten als etwas relativ Selbständiges
Einleitung. 7
gegenüberzustellen verstattet, so kann nun freilich der Idealismus das Verhältnis zwischen den Vorstellungen körperlicher Dinge und den übrigen Bewußtseinsinhalten als ein solches zwischen körperlichen Dingen und Bewußtseinsinhalten und der Spiritualismus das Ver- hältnis zwischen den den körperlichen Dingen zu Grunde liegenden Monaden und den höheren Bewußtseinssubjekten als ein solches zwischen körperlichen Dingen und den letzteren ansehen. Aber wemi sie auf diese Weise das Geistige in ein empirisches (und ledig- lich empirisch zulässiges) Verhältnis zum Körperlichen setzen, so kann dieses Verhältnis nunmehr, wie schon oben hervorgehoben, nur entweder ein parallelistisches oder ein solches der Wechselwirkung sein; eine neue, neben jene zu stellende Theorie über das Ver- hältnis von Geist und Körper ergibt sich auf diesem Wege nicht Wir brauchen daher, soweit es sich um die Frage nach dem Ver- hältnis von Geist und Körper handelt, an erster Stelle nur die von der Frage, ob die Materie Vorstellung oder real ist, prinzipiell unab- hängigen Theorien des Parallelismus und der Wechselwirkung von Physischem und Psychischem, den Idealismus und Spiritualismus aber nur soweit zu berücksichtigen, als die Vertreter des parallelisti- sehen oder des kausalistischen Standpunktes sich auf sie berufen, in der Meinung, dadurch ihre Ansichten noch weiter unterstützen und empfehlen oder drohende Einwände besser widerlegen zu können. • Auch der Materialismus kann im eigentlichen und meta- physischen Sinne ein Verhältnis des Geistigen zum Körperlichen nicht anerkennen ; auch für ihn beantwortet sich das Problem dahin, daß er das Vorhandensein desselben leugnet, daß es für ihn nicht existiert Insofern also deckt sich die Stellung, die er zu unserer Frage einnimmt, durchaus mit der des idealistisch -spiritua- listischen Standpunktes. Im übrigen aber liegt die Sache beim Materialismus nicht ebenso wie beim Spiritualismus und Idealismus, und daher gilt, was von diesen bemerkt wurde, nicht ohne weiteres auch von jenem. Idealismus und Spiritualismus sind metaphysisch durchaus mögliche Standpunkte. Ihre Durchführung mag mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, sie mögen manches, das sie er- klären sollten, unerklärt lassen, aber sie sind wenigstens nicht in sich widerspruchsvoll. Daß es Geist, Bewußtsein gibt, kann nicht zweifelhaft sein, da es uns unmittelbar gegeben ist Alles Reale auf ein Geistiges zu beziehen oder als bewußtseinsimmanent zu fassen, erscheint, wo nicht notwendig, so doch jedenfalls möglich, da uns jedenfalls alles, was uns gegeben ist, nur durch unseren Geist, durch
8 Einleitang.
unser BewuBtsein gegeben ist, wir auch insbesondere die Materie selbst nur als ein unserem BewuBtsein Gegebenes kennen. Das Dasein der Materie steht also der Durchführung des Idealismus und Spiritualismus nicht im Wege; beide können das Vorhandensein derselben wie auch den empirischen oder relativen Unterschied zwischen Materie und Geist anerkennen, ohne ihrem prinzipiellen metaphysischen Standpunkt untreu zu werden. Denn nichts hindert, die Inhalte unserer sinnlichen Wahrnehmungen oder Vorstellungen allen übrigen Bewußtseinsinhalten entgegenzusetzen, mögen sie auch als Bewußtseinsinhalte und etwa noch als Erscheinungen transcendenter intelligibler Dinge den übrigen Bewußtseinsinhalten metaphysisch gleichartig sein. Nichts hindert daher auch, wie oben schon ausgeführt, den spiritualistischen oder idealistischen Metaphysiker, vom Stand- punkte empirischer Betrachtung aus ein bestimmtes Verhältnis, sei es der Wechselwirkung oder des Parallelismus, zwischen den psy- chischen und den sogenannten materiellen Inhalten anzunehmen. Der Materialismus hingegen ist, wie noch weiter zu zeigen sein wird, ein metaphysisch unhaltbarer Standpunkt; seiner Durchführung als metaphysische Theorie steht die Tatsache, daß es überhaupt ein Psychisches gibt, entgegen. Er kann auch nicht unter Festhaltung des prinzipiellen Standpunktes doch einen relativen und empirischen Unterschied von Geist und Körper anerkennen, da er nicht den Kunstgriff des Spiritualismus und Idealismus in umgekehrter Richtung anwenden und den Geist als Erscheinung der Materie entgegensetzen kann. Von Erscheinung kann nur reden, wer ein Bewußtsein als wirklich anerkennt, für das die Erscheinung Erscheinung ist; eine Erscheinung an sich, ohne ein Subjekt, für das sie vorhanden wäre, ist unmöglich. Jeder Versuch, einen empirischen und relativen Unterschied von Geist und Körper gelten zu lassen, führt hier folgüch notwendig zur Etablierung eines metaphysischen und absoluten Unter- schiedes der beiden Faktoren und damit zur Zerstörung der materia- listischen Grundlage. Also kann auf materialistischer Basis auch das Geistige und Körperliche nicht in ein Verhältnis zu einander gesetzt werden, weder in ein solches des Parallelismus, noch in ein solches der Wechselwirkung. Während demnach die Theorien des Parallelis- mus und der Wechselwirkung mit einer idealistischen oder spiritua- listischen Metaphysik sehr wohl vereinbar sind und damit verbunden werden können, sind sie mit dem Materialismus schlechterdings un- unvereinbar. Aus alledem ergibt sich, daß der Materialismus, wenn er überhaupt als Philosophie möglich wäre, als ein dritter Stand-
EmleituDg. 9
piinkt neben dem parallelistischen und kausalistischen würde bestehen bleiben müssen, als ein Standpunkt, der metaphysisch und empirisch alles Psychophysische auf ein bloß Physisches reduziert Will man auch ihn ausscheiden, so kann man das nicht wie beim Idealismus und Spiritualismus mit seinem Zusammenfiillen mit der paralle- listischen oder kausalistischen Auffassung des Verhältnisses von Körper und Geist, sondern nur mit seiner inneren Unmöglichkeit begründen. Da der Nachweis dieser Unmöglichkeit, der in einem dem Problem des Verhältnisses von Leib und Seele gewidmeten Buche doch nicht fehlen darf, eine ausführlichere Erörterung erheischt, als sie in diesem lediglich vorbereitenden Kapitel gegeben werden kann, so ist es ratsam, ihn vorläufig in Bezug auf die Frage nach dem Verhältnis von Geist und Körper als dritten Standpunkt stehen zu lassen, wenn auch nur zu dem Zwecke, in einem besonderen Abschnitt seine Unmöglichkeit nachzuweisen und ihn damit für die weitere Untersuchung zu eliminieren.
Somit bleiben nach Ausscheidung des idealistisch- spiritualistischen Standpunktes drei Standpunkte übrig, die für die Frage des Ver- hältnisses von Geist und Körper in Betracht kommen und erwogen werden müssen, nämlich:
1. Der Materialismus, welcher das Geistige als eine Eigen- schaft oder Funktion der Materie betrachtet und daher ein Verhältnis zwischen ihnen als irgendwie verschiedenen Faktoren überhaupt nicht anerkennt.
2. Der Dualismus, welcher Geistiges und Körperliches als zwei empirisch jedenfalls, metaphysisch vielleicht auch, vielleicht auch nicht verschiedene Wirklichkeitsfaktoren auffaßt, welche unter be- stimmten Bedingungen einander beeinflussen, aufeinander einwirken können, und
3. Der Parallelismus, welcher Geistiges und Körperliches als zwei empirisch jedenfalls verschiedene, wenn auch vielleicht oder wahrscheinlich metaphysisch identische Faktoren der Wirklich- keit betrachtet, die einander entsprechen und parallel gehen, ohne einander irgendwie kausal zu beeinflussen.^)
1) Einen vierten Standpunkt versucht Münsterberg in seinen ^^Grund- zügen der Psychologie*^, Erste Abt. Leipzig 1900, S. 165 noch zu begründen. Das Charakteristische desselben soll in der Behauptung liegen, „daß alles Psychische und alles Physische gleichermaßen nicht real sei, daß beide Reihen gleichermaßen nur notwendige Konstruktionen und Hilfsbegriffe sind, während alle Realität im Willen und in den Werten liegt, die als solche nur gelten und nicht sind und
10 Einleitung.
Unsere Untersuchung wird nun den Gang nehmen, daß wir zunächst den Materialismus als einen unmöglichen Standpunkt er- weisen und abtun. Sodann werden wir in eingehender Erörterung uns mit den allein einer tieferen philosophischen Begründung fähigen Standpunkten des Dualismus und des Parallelismus zu beschäftigen haben, um. Recht und Unrecht, Yorteile und Nachteile eines jeden kritisch abwägend, zu einer Entscheidung über sie und somit zu einer Lösung des Problems des Verhältnisses von Leib und Seele zu ge- langen. Und zwar werden die Erörterungen über den Parallelismus und die ihm entgegenstehende dualistische Wechselwirkungstheorie sozusagen die Pidce de r^sistance unseres philosophischen Menüs bilden, dem die Widerlegung des Materialismus als Entr^ voran- geht. Denn während über den Materialismus und seine Ansprüche die Akten so ziemlich geschlossen sind, tobt der Streit über die Frage, ob das Verhältnis von Leib und Seele im parallelistischen oder im Sinne der Wechselwirkungstheorie aufgefaßt werden müsse, mit unverminderter Heftigkeit fort Um dieser Frage wUlen ist dies Buch geschrieben worden, sie bildet das Hauptobjekt seiner Unter- suchungen. Die Erörterungen über sie müssen daher notwendig einen breiten Baum einnehmen; bei der Darlegung und Begründung meiner Stellungnahme zu ihr darf und werde ich auf die Gefahr hin, manchen Leser zu ermüden, auch ausführliche und umständliche Behandlungen von Einzelheiten nicht scheuen, um der von mir vertretenen Ansicht alle die Unterstützung zu geben, die mir zu geben möglich ist An diesen mittleren und Hauptteil wird sich dann endlich noch — gleich-
somit weder physisches nooh psychisches Objekt sein können'^. Ich werde später Gelegenheit haben, auf diese eigentümliche Auffassung Münsterbergs näher ein- zugehen. An dieser Stelle beschränke ich mich darauf, sie als einen besonderen, das Verhältnis des Psychischen zum Physischen betreffenden Standpunkt abzu- lehnen. Wenn wirklich alles Wissen in einem bloßen Konstruieren von Hilfs- begriffen besteht, die wahre Realität (NB. Sind übrigens der » Wille c und die »Wertet nicht auch etwas Psychisches?) aber dem Wissen gar nicht zugänglich ist, so muss es auch ewig auf sich beruhen bleiben, wie das, was wir Körper und Geist nennen, in Wirklichkeit beschaffen ist und sich zu einander verhält. Das Psy- chische aber, welches ein Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis ist und welches von Münsterberg dem Physischen, welches gleichfalls Objekt wissenschaft- licher Forschung und Erkenntnis ist, entgegengesetzt wii'd, muss zu diesem auch in ein bestimmtes Verhältnis gesetzt werden, in ein Verhältnis, das, da der idea- listische und der materialistische Standpunkt auf dem Gebiete des wissenschaftlichen Erkennens ausgeschlossen sind, nur entweder das des Parallelismus oder das der Wechselwirkung sein kann. Münsterberg selbst acceptiert denn auch die parallelistische Auffassung.
Einleitung. 1 1
sam als Dessert — eine Schlußbetrachtong anschließen, in welcher ich Tcrsuchen werde, das metaphysische Weltbild, das sich als Eon- sequenz der Yon mir verteidigten Ansicht über das Verhältnis von Leib und Seele ergibt, mit einigen Strichen zu zeichnen bezhw. an- zudeuten.
Demnach gliedern sich die nachfolgenden Untersuchungen in die drei Teile: 1. Nachweis der Unmöglichkeit des materialistischen Standpunktes. 2. (Hauptteil) Untersuchung und Entscheidung des Streites zwischen der Theorie des psychophysischen Parallelismus und der Theorie psychophysischer Wechselwirkung. 3. (Schluß) Skizzierung der Grundzüge einer idealistisch -spiritualistischen, die Annahme psy- chophysischer Wechselwirkung einschließenden Weltanschauung.
Ich beginne mit der Untersuchung und Abweisung des materia- listischen Standpunktes.
Erster Teil.
Der Materialismus.
Erster Abschnitt
Die yerschiedenen Formulierangen des iiiaterlallstlschen
Standpunktes.
Die These des Materialismus läßt sich in allgemeinster Fassung so formulieren: Die Materie besitzt allein wahrhafte und ursprüng- liche Realität, sie ist der Träger alles Geschehens, der letzte und absolute Grund aller Erscheinungen. Das Psychische, weit entfernt, eigene, selbständige Realität zu besitzen, muß durchweg auf ein Physisches reduziert werden. Ich habe absichtlich diese ganz all- gemein und etwas unbestimmt gehaltene Formulierung gewählt, weil mir daran liegt, eine Formel zu geben, welche alle verschie- denen Ausprägungen des materialistischen Gedankens zu umfassen im Stande ist Denn das muß nun hinzugefügt werden, der mate- rialistische Grundgedanke wird von seinen Anhängern nicht in einer einzigen eindeutigen, sondern in mehreren voneinander abweichenden Formulierungen vertreten und festgehalten, und diese verschiedenen Formulierungen werden leider von denselben nicht deutlich unter- schieden, vielmehr unablässig durcheinander geworfen, so daß eine heillose Eonfusion entsteht Um zu einer richtigen Erkenntnis und Beurteilung des Materialismus zu gelangen, ist es aber nötig, die verschiedenen Ausprägungen, welche der materialistische Grund- gedanke erhalten hat, sorgfältig voneinander zu unterscheiden.
Aus dem Durcheinander der materialistischen Argumentationen heben sich bei näherer Betrachtung drei Behauptungen als ebenso- viele Fassungen oder Formulierungen des materialistischen Grund- gedankens heraus, die wir als die drei Grundtypen des Materialismus unterscheiden können. Freilich ist die dritte im Grunde pseudo-
£rater Abschnitt. Die TerBchied. Formolierangen des material. Standpiuktes. 13
materialistisob und kommt daher bei der Kritik des Materialismus nicht mit in Betracht; da sie aber von den Anhängern des Materia- lismus als materialistisoh in Anspruch genommen wird , darf sie hier bei der allgemeinen Einteilung und Klassifikation der materialistischen Standpunkte nicht fehlen.
Die drei zu unterscheidenden Typen des Materialismus sind die folgenden:
1. Das Psychische ist seiner eigentlichen und wahren Natur nach ein Physisches. Es gibt in Wahrheit gar kein vom Physischen ver- schiedenes, eine eigene Reaiitätsart darstellendes psychisches Sein, sondern das Psychische ist lediglich eine besondere Art des Physischen and wird nur f&lschlich für eine vom Physischen spezifisch verschie- dene Wirklichkeitsform gehalten. Die Einreihung des Psychischen in die pbysische Realität kann wieder in doppelter Weise erfolgen, so daB wir wieder zwei besondere Fassungen des ersten Typus zu unterscheiden haben. Das Psychische kann nämlich entweder a) als ein besonderer Stoff oder b) als ein Zustand, eine Eigenschaft, ein Prozeß des allgemeinen Stoffes aufgefaßt werden, ähnlich wie Wärme und Elektrizität Und zwar pflegt, entsprechend der Tendenz der Naturwissenschaft, alle physischen Prozesse in eine Mechanik der Atome aufzulösen , also als Bewegungsvorgänge aufzufassen , diese zweite Form des ersten Typus sich in der Behauptung zusammen- zufassen, das Psychische, speziell das Denken, sei Bewegung.
2. Das Psychische ist nicht selbst ein physischer Stoff oder ein physischer Vorgang, wohl aber ein Produkt physischer Prozesse. An sich durchaus immateriell und von der Materie und materiellen Prozessen verschieden, wird es doch von jenen erzeugt, erscheint also der Materie als dem Primären und Konstanten gegenüber als etwas Sekundäres, als eine gelegentliche vorübergehende Wirkung, ein Nebeneffekt physischer Prozesse.
3. Das Psychische ist weder selbst ein Physisches noch eine Wirkung desselben, sondern eine an physische Prozesse gebundene und im Verhältnis funktioneller Abhängigkeit zu ihnen stehende Begleiterscheinung derselben.^)
1) PaulseD unterscheidet in seiner Einleitung in die Philosophie S. 84 zwei Typen des Materialismus: 1. Bewußtseins Vorgänge sind Wirkungen physischer Vorgänge; 2. Bewußtseinsvorgänge sind an sich, oder ohjektiy betrachtet, nichts anderes als physische Vorgänge im Qehim. Er läßf also den dritten Typus, weil er in Wirklichkeit nicht mehr materialistisoh ist, fort, und ebenso den Typus la. In der Anmerkung 8. 85 unterscheidet er aber in Büchners „Kraft und Stoff'^
14 Erster Abschnitt Die verschied. Formnlierongen des material. Standpunktes.
Diese verschiedenen Formulierungen sich völlig klar zu machen und sorgfaltig auseinanderzuhalten ist natürlich die erste E^cbt eines jeden, der als Verteidiger einer materialistischen Weltanschauung auf- treten will. In welcher Weise die Apostel des Materialismus dieser Pflicht genügt haben, zeigt ein Blick in die Kapitel: »Gehirn und Seele«, »Der Gedanke« und »Das Bewußtsein« in Büchners »Kraft und Stoff«, welches Werk man wohl die Bibel des Materialismus genannt hat. Was an Konfusion in Bezug auf jene Formulierungen überhaupt menschenmöglich war, das ist hier redlich geleistet worden. Faulsen hat recht, die verschiedensten Standpunkte taumeln da wie betrunken durcheinander.^) Weitere Proben unklarer und konfuser Durchein- andermengung findet man in Karl Ypgts »Physiologischen Briefen« und in seiner Schmähschrift »Köhlerglaube und Wissenschaft«. Wie es um Haeckels »Welträtsel« in dieser Beziehung bestellt ist,, haben Faulsen*) und Adickes*) in erschöpfender Weise gezeigt; ich ver- zichte darauf, dem von ihnen Gesagten noch eb^as hinzuzufügen. Aber auch ernster zu nehmende und philosophisch geschulte Naturforscher, wie Dubois-Beymond, zeigen gerade in diesem Funkte eine be- klagenswerte Unklarheit des Denkens. In seinen »Grenzen des Natur- erkennens« und dem Tortrage über »die sieben Welträtsel« vermag der berühmte Fhysiolog die beiden so grundverschiedenen Ansichten,
auch drei Formulierungen, die dieser seinem Materialismus gibt: 1. Gedanke ist Bewegung; 2. Oedanke ist Wirkung von Bewegung; 3. Gedanke ist unlösbar ver- knüpft mit Bewegung. Ich halte es fiir richtig, auch den Typus la als einen besonderen Typus festzuhalten. Adiokes (Eant contra Haeckel, Berlin 1901, S. 9) unterscheidet drei Typen: 1. Empfindung und Gedanke sind Eigenschaften der Materie, welche dieser unter gewissen besonderen Umstünden zukommen; 2. sie sind Bewegungen; 3. sie sind Wirkungen von Bewegungen. Hier ist de^ Typus Ib in zwei Arten gespalten, la und 3 dagegen fortgelassen. Aus A dick es' eigenen Ausführungen ergibt sich aber, daß der allgemeine Gedanke: das Psychische ist eine Eigenschaft der Materie, alsbald in den spezielleren: das Psychische ist Bewegung, übeigeht Auch bei Eülpe, Einleitung in die Philosophie, 1. Aufl., Leipzig 1895, S. 128 finden sich (abgesehen von den hier nicht in Betracht kom- menden Unterscheidungen des praktischen und theoretischen und bei letzterem des als regulatives Prinzip und als metaphysische Richtung auftretenden, sowie hier wieder des dualistischen und monistischen MaterialismuB) drei Typen: attributiver (das Geistige eine Eigenschaft), kausaler (das Geistige eine Wirkung der Materie) und äquativer Materialismus (das Geistige selbst ein Materielles).
1) Einl. i. d. Phil. S. 83 Anm. Vgl. auch Külpe, a. a. 0. S. 131.
2) Ernst Haeckel als Philosoph, Preuß. Jahrb. Bd. 101. 1900, auch in: Phüo- Bophia militans, Berlin 1901.
3) Eant contra Haeckel, Berlin 1901.
Zweiter Abschnitt. Erstes Kapitel. Erkenntnistheoretische Widerlegong. 15
daß das Physische ein Erzeugnis, und daß es eine Begleiterscheinung physischer Yorgänge sei, also die Standpunkte des Materialismus und des psychophysischen Parallelismus, keineswegs deutlich auseinander- zuhalten. Zwar ist es nach ihm wegen der Unvergleichlichkeit des Psychischen und Physischen unmöglich, die Entstehung des ersteren aus materiellen Ursachen jemals begreiflich zu machen, aber diese Schranke unseres Erkennens hindert uns nicht, anzunehmen, daß die Seele als das allmähliche Ergebnis gewisser materieller Kombinationen entstanden ist Nicht diese Behauptung, sondern nur diejenige der Begreiflichkeit und Erklärbarkeit der Entstehung der psychischen Tor- gärige aus den Oehimvorgängen ist daher nach Dubois-Reymond an dem bekannten Yogt sehen Sekretionsgleichnis zu tadeln. Anderer- seits aber sind die psychischen Prozesse doch wieder lediglich Be- gleiterscheinungen der materiellen Yorgänge im Gehirn, mit ihnen verbunden, aber nicht aus ihnen entstanden. i)
Wir wenden uns zur Widerlegung des Materialismus.
Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismus.
Erstes Kapitel.
ErkenntnistheoretiBOhe Widerlegung.
Was hier dem Materialismus entgegengesetzt wird, ist das Funda- mentalprinzip des Idealismus: die Materie ist uns nur als Inhalt unseres Bewußtseins, als Erscheinung für unser Bewußtsein gegeben, sie setzt also das Bewußtsein schon voraus. Also kann das Bewußt- sein nicht selbst Materie oder Produkt der Materie sein. Man kann auch sagen: es ist die Kantische Philosophie, der Kantische tran- scendentale Idealismus, der hier den Fels büdet, an dem die Wogen des Materialismus zerschellen. Kant selbst hat den Wert^ der seinem Phänomenalismus als Waffe gegen den Materialismus zukommt, sehr wohl erkannt und mit Genugtuung hervorgehoben. »Dieses — unser denkendes Selbst wider die Gefahr des Materialismus zu sichern —
1) Daboia-Reymond, Über die Grenzen des Naturerkennens und die sieben Welträtsel, Leipzig 1891. S. 33. 40. 41. 42. 47. 48. 50. 57. 78. 79. 80. 95. 100. Ygl. zu dem Obigen Pauls ens Bemerkungen Einl. S. 81, S. 83 Anm. **).
16 Zweiter Abschnitt. Die WiderlegoDg des Materiaüsmos.
leistet aber der Yernunftbegriff Yon unserem denkenden Selbst, den wir gegeben haben. Denn weit gefehlt, daß nach demselben einige Furcht übrig bliebe, daß wenn man die Materie wegnähme, dadurch alles Denken und selbst die Existenz denkender Wesen angehoben werden würde, so wird rielmehr klar gezeigt, daß, wenn ich das denkende Subjekt wegnähme, die ganze Eörperwelt wegfallen muß, als die nichts ist als die Erscheinung in der Sinnlichkeit unseres Subjekts und eine Art Yorstellungen desselben.«^) Im Anschluß an Kant haben F. A. Lange und namentlich Schopenhauer das idea- listische Argument zur Widerlegong des Materialismus benutzt; auch gegenwärtig wird es, und zwar mit Yorliebe, angewandt, ich nenne nur BiehP), Schuppe^), Bergmann^), Adickes^).
Und gewiß ist das idealistische Argument ein solches, an welchem der Materialismus notwendig scheitern muß, so zwar, daß alle echten Formulierungen desselben durch es gleichzeitig getroffen und widerlegt werden. Es ist nun einmal nicht anders, als daß das Bewußtsein das einzige uns unmittelbar gegebene Wirkliche ist, daß wir von einem Seienden unmittelbar nur als von einem im Bewußtsein Gegebenen wissen, daß esse für xms^percipi ist und die Tat- sachen des Bewußtseins den unentbehrlichen und unvermeidlichen Ausgangspunkt jeder Erkenntnis der Wirklichkeit bilden müssen. Eine Philosophie, die sich über diesen Ausgangspunkt hinwegsetzt, schneidet sich von vornherein die Möglichkeit, zu einer wahren Auffassung der Wirklichkeit zu gelangen, ab. Indem der Materialismus eine unabhängig vom Bewußtsein existierende Materie annimmt und seiner Beweisführung zu Grunde legt, verstößt er gegen die funda- mentalste erkenntnistheoretische Wahrheit, welche der Idealismus aus- spricht, und kennzeichnet sein Unternehmen damit als ein schon im Beginn verfehltes. Diese Annahme bedeutet, wie Schopenhauer richtig bemerkt, das nganov xpevdog des Materialismus; er ist die Philosophie des bei seiner Rechnung sich selbst vergessenden Sub-
1) Kr. d. r. V. A. 383. Vgl. A. S. 390/91. 394. B. S. 419. 420. 806—809 u. a.
2) Der philos. Kritizismus Bd. 11 2. S. 31 — 33. 183 u. a.
3) üntersTichmigen über Hauptpunkte der Philosophie, Marburg 1900, be- sonders S. 362—376 (vgl. auch S. 274—298).
4) Erkenntnistheoret Logik, Bonn 1878, Grundriß d. Erkenntnistheorie und Logik, Berlin 1894.
5) Kant contra Haeckel 8. 35—57. Auch Yerworn bedient sich seiner, Allg. Physiologie, Jena 1895, S. 35—40. Vgl. auch S. 50 (Citat aus Bunge). Vgl. femer u. a. Ladd, Philosophy of Mind, New York 1895, S. 304. 305.
Zweites Kapitel. Metaphysisoh- psychologische Widerlegung. 17
jekts und trägt schon bei seiner Geburt den Tod im Herzen.^) Der Fehler, der im Ansatz seiner Rechnung enthalten ist, kommt zum widerspruchsYollsten Ausdruck, sobald er versucht, mit der Erklärung des Geistigen aus der Materie Ernst zu machen. Alles mag man aus der Materie ableiten und erklären, nur nicht das Bewußtsein, das die Bedingung der Möglichkeit der Materie selbst ist Daher wir, wenn wir, die Materie als wirklich voraussetzend und aus ihr alles ableitend, schließlich uns anschickten, auch das Erkennen selbst aus ihr abzuleiten, eine :» Anwandlung des unauslöschlichen Lachens der Olympier spüren« und erkennen würden, daß das, was wir ableiten woUten, schon beim allerersten Ausgangspunkt unserer Deduktionen, der bloßen Materie, als unumgängliche Bedingung vorausgesetzt war. Das letzte Glied, das Bewußtsein, entpuppt sich als Ausgangspunkt, an welchem schon das erste hing, die Kette wird zum Kreis, das ganze Unternehmen des Materialismus enthüllt sich als eine unge- heuere peHtio prindpii.^) Wer das Bewußtsein materiell erklären will, gleicht dem Luftschiffer, der nach dem Monde trachtet,^) oder nach Schopenhauers noch besserem Bilde dem Ereiherm von Münchhausen, der, zu Pferde im Wasser schwimmend, mit den Beinen das Pferd, sich selbst aber an seinem nach vorne überge- schlagenen Zopf in die Höhe zieht. ^)
Zweites Kapitel.
Metaphysisch -psychologiBche Widerlegung.
Das idealistische Argument würde an sich völlig genügen, den Materialismus als Weltanschauung für immer unmöglich zu machen. Es ist unwiderleglich, es enthält in sich eine vernichtende Kritik des Materialismus, und zwar — was noch ein besonderer Vorzug ist — aller möglichen Formulierungen desselben. Es leistet also aUes, was man von einem Argument in Bezug auf wissenschaftliche Strenge, Bündigkeit und Wucht nur verlangen kann. Wer sich die unbestreit- bare Wahrheit der idealistischen Grundansicht einmal klar zum Be- wußtsein gebracht hat, kann in dem Materialismus nur einen un-
1) Schopenhaner, W. "W. v. Grisebach, Bd. IT 8. 368, 21, Bd. I 8. 65.
2) Ebendaselbst 8. 62.
3) Dubois-Beymond, Grenzen des Natuierkennens, Leipzig 1891, 8.44.
4) W. W. Bd. I 8. 63. Von sonstigen, noch nicht genannten Ausführangen Schopenhauers gegen den Materialismus verzeichne ich W, W. Bd. II 8. 20 f., 205 f., 367—373, Bd. IV 8. 86.
Bnsse, Oeist nnd Körper, Seele und Leib. 2
18 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des Materialismus.
möglichen, in sich selbst widerspruchsvollen Standpunkt erblicken. Wenn ich trotzdem mich nicht damit begnüge, den Materialismus durch das idealistische Argument zu widerlegen, sondern es für nötig halte, den Nachweis seiner Unmöglichkeit auch vom Standpunkt metaphysisch -psychologischer Betrachtung aus zu führen, so hat das seinen Grund in gewissen Nachteilen, die dem idealistischen Argu- ment, ohne seine wissenschaftliche Bedeutung zu beeinträchtigen, an- haften. So unwiderleglich und zwingend es ist, es ist doch im ganzen wenig wirksam. Um es verstehen und benutzen zu können, ist schon eine Höhe philosophischen Bewußtseins und erkenntnis- theoretischer Überlegung erforderlich, zu der nur verhältnismäßig wenige sich aufzuschwingen vermögen.
Die Wahrheit der idealistischen Grundansicht, daß die ganze Körperwelt Erscheinung für mein sie vorstellendes Bewußtsein ist, ist unbestreitbar, aber zugleich höchst paradox; dem gemeinen, ja auch dem Bewußtsein des wissenschaftlichen Forschers, der nicht gewöhnt ist philosophisch zu denken, geht sie schwer ein. Sie ist der mensch- lichen Natur zuwider, diese lehnt sich instinktiv gegen sie auf. So kommt es, daß die idealistische Argumentation mehr überrascht, als dauernde Überzeugung begründet. >Wem sie zum ersten Male be- gegnet, der wird leicht die Empfindung haben, als sei er nur über- rumpelt worden: sagen freilich lasse sich das, und vielleicht sei es schwer oder unmöglich, die Rede zu widerlegen, aber wahr sei sie darum doch nicht «^) Daß die Welt, die sich so anschaulich und in so massiver Wirklichkeit um mich her ausbreitet, nur meine Vor- stellung, nur als Inhalt meines auffassenden Bewußtseins vorhanden sein soll, wird dem anschaulich und empirisch denkenden Menschen niemals recht einleuchten. Und wenn durch die bekannten, die Subjektivität aller unserer Empfindungen und Wahrnehmungen dartuenden Argu- mente eine widerwillige Zustimmung momentan erzwungen worden ist, so ist sie doch nur vorübergehend: im nächsten Moment macht sich die überredende Gewalt der unmittelbaren Anschauung un- widerstehlich geltend, das Spinnengewebe der erkenntnistheoretischen Argumentation zerreißt und das Individuum rächt sich für den Zwang, den es erlitten, indem es etwa den ganzen philosophischen Idealismus für einen ungeheuren Blödsinn erklärt, den es zwar
1) Faulsen, Einl. S. 79. In diesem 8inne ist es wohl auch zu y erstehen, wenn Ebbinghaus, Grundzüge der Psychologie, Leipzig 1897, S. 39 sagt, daß das Argument des erkenntnistheoretischen Idealismus nicht durchschlagend sei.
Zweites KapiteL Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 19
nicht logisch widerlegen könne, von dem es sich aber auch nicht zum Narren halten lasse. Oder es macht vielleicht auch, wenn es das Zeug dazu hat, sehr gewichtige Argumente gegen die idealistische These geltend, die ebenso viele Schwierigkeiten des Idealismus dar- stellen. Wenn die ganze Körperwelt seine Torstellung sei, wird es etwa sagen, so seien auch alle übrigen Menschen, der verehrte Herr idealistische Philosoph ihm gegenüber nicht ausgenommen, ledigUch seine Yorstellang, denn auch diese seien ihm nur in körperlicher Form gegeben : es allein existiere und erzeuge alles aus sich. Wolle man diese doch ofiEenbar absurde Behauptung nicht als richtig an- erkennen, schreibe man den anderen menschlichen Individuen eine Ton dem eigenen Bewußtsein unabhängige reale Existenz zu, so habe man keinen plausiblen Grund mehr, die übrige körperliche Welt für eine bloße Vorstellung zu erklären. Ja, könnte unser Anti- Idealist noch hinzufügen, es sprächen doch weiter noch sehr ge- wichtige Gründe dafür, ihr eine vom Bewußtsein des auffassenden Subjekts unabhängige Existenz zuzuerkennen. Denn er, den der idea- listische Philosoph zum Träger und Schöpfer der ganzen Eörperwelt machen wolle, sei sich durchaus bewußt und werde sich darin durch kein noch so subtiles philosophisches Räsonnement beirren lassen, einen zeitlichen Anfang seiner Existenz gehabt zu haben. Er sei in diese Welt hineingeboren, die Welt sei also doch schon dagewesen, noch ehe er und sein Bewußtsein vorhanden gewesen sei. Wie könne sie denn da bloß seine Vorstellung sein, und was von ihm gelte, gelte auch von allen übrigen Menschen, ja von aUen bewußten Wesen überhaupt Wolle der Philosoph etwa die Ergebnisse der paläon- tologischen , der geologischen und astronomischen Forschung in Frage ziehen? IN'un, durch diese sei es doch zur Evidenz erwiesen, daß lange ehe bewußtes Leben in der Welt sich zeigte, die Welt selbst, das physische Universum, schon vorhanden war. Die Sonne war da und beleuchtete die Erde, die Erde war da und bewegte sich Jahr für Jahr um die Sonne, gewaltige, ungeheuere Zeiträume füllende Umwälzungen fanden statt, bis endlich mit der zunehmenden Ab- kühlung der Temperatur und Erstarrung der Erdrinde der Zeitpunkt herankam, wo lebendiges, bewußtes Leben sich auf der Erdoberfläche entfalten konnte. Und das physische Universum werde fortfahren, zu sein, auch wenn einmal mit dem Aussterben des Lebendigen alles Bewußtsein wieder von der Erde verschwunden sein wird.
Angesichts solcher Tatsachen sei es doch einfach absiurd, die
Welt zu einer bloßen Vorstellung des bewußten Subjekts machen zu
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20 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des Matenalismns.
wollen. Sie sei von diesem völlig unabhängig. Wolle man überhaupt ein AbhängigkeitsTorhältnis zwischen der Welt als dem Objekt und dem Bewußtsein als dem Subjekt des Erkennens annehmen, so spreche offenbar alles eher für die umgekehrte Annahme: das Bewußtsein aus der materiellen Welt heraus entstanden — wie das eben der Materia- lismus behauptet.
Ich weiB wohl, daB derartige und ähnliche Einwände gegen den Idealismus trotz aller Scheinbarkeit ihrer Gründe einer philo- sophischen Kritik gegenüber schließlich nicht standhalten. Die idea- listische Philosophie besitzt Mittel, den richtigen Grundgedanken, welchen sie enthalten: daß es eine von meinem Bewußtsein unab- hängige, ihm vorhergehende und es überdauernde Außenwelt gibt, mit der Wahrheit der idealistischen Behauptung, daß die körperliche Welt lediglich Vorstellung des sie auffassenden Bewußtseins ist, zu vereinigen. Aber diese Mittel liegen nicht auf der Oberfläche; den komplizierten Apparat, den sie darstellen, zu verstehen und zu hand- haben erfordert wiederum eine nicht ganz geringe Fähigkeit, sich durch subtile und vielfach verschlungene G^ankenreihen sicher hindurch- zuwinden. Es ist zu befürchten, daß die Argumente, durch welche die idealistische Widerlegung des Materialismus gegen naheliegende Einwendungen gesichert werden soll, um ihrer Kompliziertheit und Abstraktheit willen ebensowenig Eindruck machen werden, als diese Widerlegung selbst Hierin liegt die Schwäche des idealistischen Aigumentes, seine geringe Überzeugungskraft. Es ist wissenschaftlich unanfechtbar, aber schwer anwendbar. Und um zu dem Punkt zu ge- langen, von dem aus die Widerlegung des Materialismus mit zwingen- der Gewalt erfolgen kann, sind erst umständliche Zurüstungen nötig, müssen erst viele Bedenken überwunden, viele Schwierigkeiten hinweg- geräumt werden. Bei dieser Sachlage drängt sich denn doch die Frage auf, ob es zweckmäßig ist, die Widerlegung der materialistLschen Weltanschauung lediglich der idealistisch- erkenntnistheoretischen Re- flexion zu überlassen, ob nicht das Ziel auf andere, weniger um- ständlichen Wegen leichter und doch ebenso sicher erreicht werden kann. In der Tat gibt es solche Wege, und wir wollen sie, das idealistische Argument beiseite lassend, jetzt zu wandeln versuchen. Wir verzichten also im folgenden darauf, den Idealismus gegen den Materialismus geltend zu machen, wir nehmen mit diesem an, daß es eine von unserem Bewußtsein völlig unabhängige, an sich seiende Welt materieller Dinge gibt, welche als solche den Gegenstand der naturwissenschaftlichen Forschung bildet, und suchen nun ganz un-
Zweites Kapitel. Metaphysisch - ixsyohologisohe Wideriegang. 21
abhängig von jeder idealistisohen Yoraussetzung zu zeigen, daß aus den Dingen und Eigenschaften dieser materiellen Welt das Geistige schlechterdings nicht erklärt werden kann, der Materialismus also an der Unmöglichkeit, seine These durchzuführen, scheitert. Um das zu zeigen, müssen wir aber die verschiedenen Formulierungen, in welchen der materialistische Grundgedanke uns entgegentrat, sorg- fiUtig auseinanderhalten. Die idealistische Widerlegung konnte diese Unterschiede ignorieren, da sie alle Formulierungen in gleicher Weise traf; die metaphysisch -psychologische Widerlegung muB sich den einzelnen Formulierungen anpassen und je nach Beschaffenheit der- selben operieren.
1. Wir prüfen daher zunächst den ersten der drei oben von uns unterschiedenen Typen: Das Psychische ist selbst seiner wahren und eigentlichen Beschaffenheit nach ein Physisches. Er zerfillt, wie wir gesehen haben, wieder in zwei Unterarten, die durch die Behauptungen: das Psychische ist ein bestimmter Stoff, und: das Psychische ist eine Eigenschaft oder ein Zustand des Stoffes, speziell: es ist Bewegung, charakterisiert werden. Betrachten wir zunächst die erste Behauptung:
a) Das Psychische ist ein Stoff.
Diese Auffassung liegt dem geschmackvollen Beispiel zu Grunde, durch welches Karl Vogt die materialistische These klarer und über- zeugender zu gestalten dachte: sowie die Nieren Urin absondern, auf gleiche Weise erzeugt das Gehirn Gedanken, Bestrebungen, Gefühle.^) In seiner »Medizinischen Psychologie« hat Lotze diesen Vergleich als einen »unfiltrierten Einfall« bezeichnet und gegen die Möglichkeit desselben eingewandt: Wenn das Geistige etwas ist, das vom Gehirn abgesondert wird, so war es doch offenbar schon da ehe es abge- sondert ward. War es da nun schon ein Psychisches, so ist es nicht erst durch Absonderung entstanden; war es ein Physisches, so ist nicht einzusehen, wie aus ihm durch den Absonderungsprozeß ein Psychisches werden soU.^) Man könnte nun freilich noch annehmen, daß das Gehirn durch irgendwelche chemischen Prozesse aus den in ihm vorhandenen Stoffen eine neue Kombination, d. h. einen neuen
1) Physiolog. Briefe für QebUdete aller Stände, Oießen 1847, S. 206. Köhler- glaube und WiBsenschaft, 3. Aufl., Gießen 1855, S. 32.
2) Lotze, Medizinische Psychologie, Leipzig 1852, S. 44.
22 Zweiter Absohmtt Die Widerlegtmg des Materialismus.
Stoff mit neuen Eigenschaften und Kräften erzeuge, ähnlich wie die Nieren aus den ihnen zugeführten Stoffen den Urin erzeugen, und daß dieser so erzeugte Stoff etwa der psychische, der »Denkstoff« sei. Aber auch dann bleibt doch der zweite der Lotzeschen Ein- würfe in Kraft Dieser Stoff würde eben in alle Ewigkeit lediglich ein Physisches, ein Stoff bleiben und ebensowenig wie der Urin je etwas Psychisches werden. Es ist eben unmöglich, daß ein Stoff zugleich etwas Geistiges sei. Physisches und Psychisches sind spezi- fisch voneinander verschieden, schließen sich gegenseitig aus, das Psychische kann unmöglich als ein Stoff gedacht werden. Ein Stoff, ein Körper, hat die Eigenschaften, die dem Körperlichen zukommen: er ist ausgedehnt, viereckig oder rund oder unregelmäßig geformt, ist hart oder weich, glatt oder rauh usw. usw.; Gedanken, Gefühle, Empfindungen sind aber weder lang noch kurz, weder viereckig noch rund, weder dick noch dünn, weder hart noch weich. Sie sind auch nicht an einem bestimmten Orte und zwischen ihnen bestehen keinerlei räumliche Beziehungen. Alle jene Eigenschaften des Körperlichen kön- nen Inhalt eines Gedankens, einer Vorstellung, aber nicht diese selbst sein.^) Wer sich den fundamentalen Unterschied des aller räumlichen Bestimmungen baren Geistes und des in ihnen ansehenden Stoffes einmal völlig klar gemacht hat, wird auch zugeben, daß die Be- zeichnung des so überaus ästhetischen Karl Yogtschen Yergleichs als »unfiltrierter Einfall« noch eine sehr milde Beurteilung bedeutet »Vollendeter Blödsinn« wäre eine zwar rücksichtslosere, aber nicht unzutreffende Bezeichnung gewesen. Sie gebührt auch der andern Form, in welcher dieser erste Typus des Materialismus auftritt:
b) Das Psychische ist Bewegung.
Verzichtet man darauf, das Psychische als einen irgendwie ge- arteten Stoff anzusehen , so scheint sich zur Bettung des Materialismus noch der Ausweg zu bieten, es insofern wenigstens als ein Physisches aufzufassen, als es als Eigenschaft eines materiellen Substrates be- trachtet wird, als ein Zustand, in welchen die Materie unter be- stimmten Bedingungen gerät, eine Bestimmtheit, die ihr nicht immer, aber unter gewissen Voraussetzungen zukommt So aufgefaßt würde das Psychische in eine Reihe treten mit anderen bekannten Bestimmt- heiten der Materie, wie Wärme, Elektricität, Bewegung, die, ohne,
1) Vgl. auch Rehmke, Lehrbuch d. allg. Psychologie, Hamb. u. Lpzg. 1894, S. 24. R. weist die Annahme zurück, daß die Seele ein stoffliches Ding, ein Atom oder ein Molekül sein könne-
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 23
wie Schwere, Undurchdringlichkeit usw., dem Stoff unvermeidlich anhaftende, sein unverlierbares Wesen ausdrückende Attribute zu sein, doch Zustände bezeichnen, in welche die Materie unter be- stimmt angebbaren Bedingungen gerät. Dem Entwicklungsgang der Naturwissenschaft, welche alle diese Erscheinungen auf Bewegungs- vorgänge zu reduzieren und die Naturvorgänge in eine Mechanik der Atome aufzulösen strebt, entsprechend wird aber das Psychische, wenn es als Bestimmtheit der Materie betrachtet werden soll, eben als Bewegung aufgefaßt werden müssen/) und so wird
1) Die Naturwissenschaft als solche hat allerdings ein Recht und auch ein begreifliches Interesse daran, alle ihren Erklärungsprinzipien überhaupt zugänglichen £r8cheinungen als Bewegungsvorgänge und Lageverhaltnisse zu deuten und dem- gemäß zu erklären, eine Tendenz, welcher hervorragende Naturfoi'scher wiederholt auch deutlichen Ausdruck gegeben haben. »Wissenschaftliches Naturerkennen«, sagt Dubois-Reymond, » bedeutet Auflösen der Naturvorgänge in Mechanik der Atome« (Grenzen des Naturerkennens, Leipzig 1891, S. 16). Kirchhof f hat es be- kanntlich als Aufgabe der Mechanik bezeichnet, »die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben« (Vorrede zu den »Yorlesungen über Mechanik«), und Hertz legt seiner Darstellung der Prinzipien der Mechanik unter Ausscheidung des Eräfte- begnffs nur die drei Begriffe: Zeit, Raum und Masse, zu Grunde (Einleitung zu den »Prinzipien der Mechanik« , 3), indem er zugleich, um den Ausfall zu decken, mit Helmholtz die Begriffe der »verborgenen« Masse und der »verborgenen« Be- wegung zu Hilfe nimmt Das Interesse, welches die Naturwissenschaft an dieser mechanistischen Auffassung der Naturerscheinungen hat, erklärt sich dadurch, daß man nur, solange man sich innerhalb des durch sie bedingten Kreises von Vor- stellungen hält, innerhalb der rein materialistischen Denkweise bleibt. Daher hat man auch den Enei^^ebegriff der mechanistischen Auffassung anzupassen und ihn dementsprechend auf die beiden Begriffe der kinetischen und der potentiellen Energie als Energie der Lage einzuschränken gesucht, wie das Hertz im 3. Kapitel seiner Einleitung schon angedeutet hat. Schon die Einführung des Begriffes der Kraft, die selbst etwas Immaterielles ist und als femwirkende auch da wirkt, wo die Materie, deren Kraft sie ist, nicht ist, zerstört, wie Adickes (Kant contra Haeckel, Berlin 1901, S. 7) ganz richtig bemerkt, eigentlich den Materialismus. Man kann ihn freilich auch in der mechanistischen Naturauffassung beibehalten, sofern man sich darüber klar ist und daran festhält, daß man an ihm in Wahrheit lediglich einen Namen besitzt, um die uns unbekannte Ursache von Bewegungen zu be- zeichnen, wobei es gänzlich unausgemacht und dahingestellt bleibt, worin diese Ursache bestehen mag, ob vielleicht in einer »verborgenen« Bewegung offenbarer oder »verborgener« Massen, oder worin sonst. Jeder Versuch aber, den Begriff der Kraft im Sinne eines innerlichen Zustandes oder Vorganges, einer lebendigen ISitigkeit des Stoffes zu verwerten, führt alsbald zu einer mehr hylozoistischen oder gar spiritualistischen Anffassung des letzteren, welche mit echter materialistischer Denkweise nicht recht vereinbar ist. Auch Wäime, Licht, Elektricität, als eigen- tümliche innere Zustände oder Tätigkeiten des Stoffes gedacht, stellen der materia-
24 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des MateriaÜsmos.
denn diese Form des Materialismus durch das Schlagwort gekenn- zeichnet: das Psychische, speziell das Denken, ist Bewegung. In dem
listischen Aa£fas8ang desselben Schwierigkeiten entgegen; sie zersprengen im Grande den materialistischen StofFbegriff. Zwar würde der Stoff, auch mit allen diesen mehr dynamischen und innerlichen Bestimmungen behaftet, noch von dem Psy- chischen unterschieden werden können. Wärme, licht und Elektricität haben doch Beziehungen zur Räumlichkeit, welche den psychischen Vorgängen abgehen. Die Wärme haftet an Flächen und erscheint insofern ausgedehnt, ebenso verbreitet sich Licht und Elektricität durch den Raum hindurch, und von der Kraft im allgemeinen gilt das Gleiche. Aber als von Masse, Lagerung und Bewegung spezifisch ver- schiedene »innere« Bestimmtheiten des StofiFes gefaßt, rucken sie doch dem Psy- chischen näher, die Grenzen zwischen dem Physischen und dem Psychischen werden undeutlicher, und so konnte denn Ostwald, der die Materie in Energie auflöst, wohl auf den Gedanken kommen, das Psychische selbst als eine Art Energie und damit dem Physischen Ähnüches aufzufassen (Vorlesungen über Naturphilosophie, Leipzig 1902, S. 377 f. S. 396).
Mit alledem ist natürlich über die absolute Richtigkeit der »mechanistischen« und der »dynamischen« Konstruktion des Stofifes gamichts präjudiziert. Vielleicht ist die »dynamische«, »energetische« oder meinetwegen auch die hylozoistische Auf- fassung des StofiFes, welche ihm die Fähigkeit, innere Zustände zu haben, zuschreibt und in diesem Siime den Eraftbegriff verwendet, doch wie die tiefere so auch die wahrere. Naturphilosophisch liegt die Sache ja zweifellos so, daß wir mit den Begriffen von Raum, Zeit und Masse nicht auskommen können, auch nicht wenn wir sie mit Hertz durch die Hilfabegrifife der »verborgenen« Bewegung und der »verborgenen« Masse ergänzen. Wollen wir die Dinge, die uns als körperliche entgegentreten, philosophisch verstehen, nicht nur sie »mechanisch« beschreiben und berechnen, so sehen wir xms allerdings — man vergleiche z. B. die Aus- führungen Bergmanns in dessen »Untersuchungen über Hauptpunkte der Philo- sophie«, Marburg 1900, S. 317f. — alsbald genötigt, dem Stoff noch mehr »ver- borgene« Eigenschaften zuzugestehen. Es kann an dieser Stelle unerärtert bleiben, ob nicht, sobald wir in naturphilosophischer Betrachtung von der mehr äußerlichen Auffassung der Naturwissenschaft zu einer vertiefteren, ihm innerliche Regungen und EjTäfte verleihenden Auffassung des Stoffes fortschreiten, diese vertiefte Auf- fassung den Begriff des Stoffes überhaupt zersprengt und an die Steile des Stoff- begriffs mit innerer Notwendigkeit der der Monade tritt. Auf alle fWe ist, was die Naturwissenschaft über den Stoff uns zu sagen weiß, noch nicht das letzte, das sich über ihn überhaupjt sagen läßt. Wir können dabei nicht stehen bleiben, die Natuiivissensohaft führt von selbst und mit innerer Notwendigkeit zur Natur- philosophie, zur Metaphysik. Andererseits kann man natürlich der Naturvrissenschaft, soweit sie lediglich Naturwissenschaft sein will, das Recht nicht bestreiten, von allen naturphilosophischen Auffassimgen, mit denen sie, da sie sich nicht rechnerisch verwerten lassen, als Naturwissenschaft nichts anfangen kann, abzusehen und sich mit dem »Bilde« des Sachverhalts zu begnügen, das, wenngleich metaphysisch vielleicht weniger kon'ekt, doch den Vorzug besitzt, praktisch brauchbar zu sein, und nur dieses »Bild« kann in Frage kommen, wenn es sich um die Möglichkeit oder Unmög- lichkeit, das Psychische materiell zu erklären, also um Recht oder Unrecht des
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psjchologisohe WiderleguDg. 25
Kapitel »der Gedanke« seines Werkes: Kraft und Stoff hat Ludwig Büchner diese Behauptung mit klaren und deutlichen Worten aus- gesprochen. »Der Gedanke oder das Denken ist kein Abfallstoff, sondern eine Tätigkeit oder Bewegung der im Gehirn in bestimmter Weise znsammengeordneten Stoffe und Stoffrerbindungen.« »Denken kann und muß daher als eine besondere Form der allgemeinen Natur- bewegung angesehen werden, welche der Substanz der centralen Neryenelemente ebenso charakteristisch ist, wie die Bewegung des lichtes dem Weltäther. Deswegen ist aber Verstand oder Gedanke nicht selbst Materie, sondern nur materiell in dem Sinne, daß er die Manifestation eines materiellen Substrats ist, yon welchem er ebenso unzertrennlich ist, wie die Kraft vom Stoff, oder — mit anderen Worten — eine eigenartige Kundgebung eines eigenartigen Substrats geradeso wie Wärme, licht, Elektricität unzertrennlich von ihren Sabstraten sind.« Yon der psychischen Tätigkeit wird dann weiter gesagt, sie sei nichts anderes als die zwischen den Zellen der grauen Hirnrinde geschehende Ausstrahlung einer durch äußere Eindrücke eingeleiteten Bewegung.
Schickt man sich an, diese Ansicht zu widerlegen, so befindet man sich alsbald in einer gewissen Verlegenheit , freilich einer solchen, die nicht in der unanfechtbaren Gewißheit und Evidenz, sondern viel-
Materialiamits handelt Wer sich zum Materialismus bekennt, muß versuchen uns zu zeigen, daß das OeiBtige aus den Eigenschaften der Materie, um derentwillen wir sie ebenMaterie nennen und welche den naturwissenschaftlichen Begriff derselben kon- Btitaieren, also aus den Eigenschaften der Ausdehnung, räumlichen Gestalt, Dichtigkeit, rndurchdringlicbkeit, Beweglichkeit usw. erklärlich, mit ihnen identisch oder als Wir- kung derselben begreifbar seL Kann er das nicht und läßt sich die Unmöglichkeit solcher Auffassung nachweisen, so ist damit der Materialismus gerichtet und scheidet aus der Reihe der möglichen Standpunkte aus. Ob, wenn wir vorher die Materie zu etwas ganz anderem machen, als ihr naturwissenschaftlicher Begriff bedeutet, wenn wir ihr allerhand innere Regungen, ja einen Schatz inneren Lebens zuschreiben, das Geistige als eine Bestimmtheit oder Wirkung der Materie angesehen werden kann, ist eine ganz andere Frage. Wer sie mit diesen Voraussetzungen bejaht, ist aber auch nicht mehr Materialist. Daher ist es auch ganz ungehörig, wenn Büchner, um den unangenehmen Einwürfen wider seine materialistische These auszuweichen, ent- gegnet, wie man denn daran denken könne, das Bewußtsein aus materiellen Be- dingungen erklären zu wollen^ so lange man da3 Wesen der Materie selbst nicht kenne? Ja wie kann man denn daran denken, den Materialismus unter so be- waodten umständen zu verfechten! Der Materialismus steht und fallt mit der Möglichkeit, aus der Materie, die wir kennen, und aus den Eigenschaften, um derentwillen und durch welche sie eben »Materie« ist, das Psychische zu erklären. Hio Rhodus, hie salta! Von dieser Voraussetzung geht denn auch unsere Erörterung im Text aus.
26 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismus.
mehr in der yollendeten Absurdität des zu widerlegenden Standpunktes ihren Grund hat. Das Sinnlose teilt, wie Paulsen in seiner Kritik dieses Standpunktes treffend ausführt, mit der Wahrheit den Torzug, nicht widerlegt werden zu können.^) Man kann nur versuchen, die YöUige Sinnlosigkeit und Ungereimtheit der Behauptung, das Psy- chische, speziell der Gedanke, sei Bewegung, auseinanderzusetzen. Wer diesem Argumente nicht zugängig ist und an seiner Behauptung ungeachtet ihrer Absurdität festhält, dem ist nicht zu helfen: gegen das credo quia absurdum ist kein Kraut mehr gewachsen. Er kann 'dessen völlig gewiß sein, daß andere Argumente als dasjenige, welches nicht gelten lassen zu wollen er eben fest entschlossen ist, gegen seinen Standpunkt nicht mehr vorgebracht werden können, und kann in dieser Gewißheit stolz von sich sagen: mea caMgine tuttcs. Wer sich aber einmal klar gemacht hat, was er unter einem Gedanken und unter einer Bewegung sich vorstellt; erkennt auch sofort, daß der Satz: Denken ist Bewegung, ein hölzernes Eisen ist. Denken ist eben Denken und Bewegung ist Bewegung, sowie Holz Holz und Eisen Eisen ist. Die Behauptung, daß Denken Bewegung sei, ist um nichts wahrer und sinnvoller, als die andere, daß Holz Eisen sei. Sowie, wer dieses behaupten wollte, entweder sinnloses Zeug be- haupten würde oder unter Holz etwas ganz anderes, als man sonst darunter versteht, nämlich Eisen verstehen müßte, so würde auch der Verteidiger der These, daß Denken Bewegung sei, entweder einfach Blödsinn reden oder er müßte unter Denken etwas anderes verstehen, als wir alle, nämlich eben Bewegung. Versteht man unter Denken den psychischen Vorgang, dessen wir uns, wenn wir denken, bewußt sind, so läßt sich die materialistische, Denken zu Bewegung machende Behauptung zwar, mit Schopenhauer zu reden, zungen, aber nicht hirnen.
Wäre wirklich das Psychische, wären unsere Empfindungen, Vorstellungen und Gefühle Bewegungen, so hätten wir gar nicht auf den Gedanken (sit venia verbo) kommen können , dieselben von den Bewegungen zu unterscheiden und ihnen als etwas anderes entgegen-
1) £inl. i. d. Phil. S. 86. YgL So huppe, Grundriß d. Erkenntnistheorie u. Logik, S.10. Rehmke, Psychologie S. 23. 32. Biehl, philos. Erit. 11^ S.32, Thiele, Philosophie des Selbstbewußtseins , Berlin 1895, S. 173/74, Külpe, Einleitung S. 132. A dicke 8, Kant contra Hi^kel, S. 27. Vgl. auch Kant, Er. d. r. Y. A. 358. Vgl. femer James, Principles of Psychology, Bd. I, London 1891, S. 146, Tyndall, Fragments of Science 5th ed. S. 420, sowie Belfast Adress, »Nature«, 20. Aug. 1894, S. 318 (citiert nach James S. 147)
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerleguog. 27
zusetzen. Mcht einmal das Vorurteil, daB Gedanken usw. etwas von Bewegungen Yerschiedenes seien, könnte es geben, wenn sie nicht auch verschieden davon wären und als etwas davon Yerschiedenes von uns erfahren würden. Wären unsere Empfindungen , Gefühle usw. Bewegungen so müBten sie auch als solche von uns erfahren, erlebt werden, nicht aber als etwas, das davon so gänzlich verschieden ist An der Tatsache, daß es so ist, geht daher die Denken und Bewegung identifizierende These unrettbar zu Schanden. Sie fälscht die Erfahrung; was aber die Erfahrung gegen sich hat, dessen Falschheit steht fest. Nur als Inhalte unserer Wahrnehmungen können Bewegungen in unserem Bewußtsein, in unserer Seele vorkommen, unser Wahrnehmen, Vorstellen, Wollen, Fühlen, Denken selbst aber ist nicht Bewegung. Es ist das, als was es von uns unmittelbar erlebt und erfahren wird. In diesem unmittelbaren Erlebnis aber ist von Bewegung schlechterdings nichts enthalten.^) Wer da denkt oder fühlt, ist sich, sofern er denkt und fühlt, einer Bewegung überhaupt nicht bewußt, er weiß von gar keiner in seinem Gehirn vorgehenden Bewegung, er weiß nur, daß er denkt oder fühlt Von den Be- wegungen, die in unserem Gehirn vor sich gehen und angeblich das Denken und Fühlen selbst sein sollen , erlangen wir durch das Denken und Fühlen unmittelbar gar keine, sondern erst auf Umwegen eine mittelbare Kenntnis. Von ihnen weiß die Physiologie einiges, wenn auch nicht viel, zu berichten. Könnten wir das Gehirn eines Menschen, während er fühlt oder denkt, beobachten, so würden wir allerhand Bewegungen in ihm vorgehen sehen, aber diese von uns beobachteten Bewegungen wären nicht das Fühlen oder Denken selbst, das sich in der Seele des Menschen vollzieht; sie begleiteten diese Tätigkeiten , wären aber nicht mit ihnen identisch. Es hat noch kein Pbysiolog einen Gedanken^ ein Gefühl im Gehirn gesehen. Während das unmittelbare Bewußtsein uns nur Gedanken^ Gefühle, Empfin- dungen usw., in ihnen aber keine Spur von räumlicher Bewegung und Körperlichkeit zeigt, zeigt die äußere mittelbare Beobachtung nur Be- wegungen körperlicher Massen, aber nie so etwas, wie das, was wir im Selbstbewußtsein unmittelbar erleben. Beides, das Psychische, wie wir es unmittelbar in uns erfassen, und das Physische, wie wir es mittel- bar beobachten^ sind eben gänzlich verschiedene und unvergleich-
1) Sehr richtig weist Lotze, Medizinische Psychologie i Leipzig 1852, S. 12 darauf hin, daß die Farben Jahrtausende lang wahrgenommen worden sind, ohne daß in ihnen eine Hindeatang auf die 'Wellenzahl eines vibrierenden Aethers be- merkt worden wäre.
28 Zweiter Absohnitt. Die Widerlegung des Materialismus.
bare Dinge: nur vollendete Gedankenlosigkeit kann das eine für das andere ausgeben.
Aber so klar und einleuchtend das alles für jeden unbefangen Urteilenden ist — ^er sich einmal in den materialistisohen Gedanken verrannt hat, wird die Hoffnung, die These, Denken ist Bewegung, retten zu können, dennoch noch nicht aufgeben. Allerhand Auswege werden versucht, um das materialistische Prinzip »im Prinzip« fest- zuhalten. Das Denken, sagt man, sei eine Bewegung, die sich selbst begreift, und meint wunder was damit gesagt zu haben. Es ist klar, daB dieser Ausweg in Wahrheit eine Sackgasse ist Sehen wir von allen anderen Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten ab: wenn eine Bewegung sich selbst begreift, so haben wir zwei ganz verschiedene und voneinander sorgfältig zu unterscheidende Vorgänge: erstens die Bewegung und zweitens das Sichbegreifen, das Sichbewußtwerden der- selben. Das Bewußtsein, welches die Bewegung, indem sie sich voll- zieht, von sich als Bewegung hat, ist nicht die Bewegung selbst, die das Bewußtsein hat, ist nicht selbst wieder eine Bewegung. Die Bewegung und das Denken, Begreifen, Bewußtsein derselben bleiben nach wie vor zwei völUg verschiedene, vöUig unvergleichbare Vor- gänge; anstatt einer Bewegung, die zugleich Gedanke ist, haben wir ein solche, die von einem Gedanken begleitet wird, anstatt einer Identität eine bloße Korrespondenz. Auch würde die Bewegung, wenn sie, die doch eben Bewegung ist, sicl^ als Bewußtsein vorkommt, sich falsch vorkommen; ihr Sichbegreifen wäre zugleich notwendig ein ewiges Sich verfehlen. Sie erscheint sich als etwas anderes, als sie ist. Gerade an diesen Gedanken aber knüpft noch ein letzter Versuch, das Psychische auf eine Bewegung zu gründen, an, der freilich ebenso widerspruchsvoll und daher ebenso aussichtslos ist, als alle anderen.
Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle, belehrt man uns, sind eigentlich und an sich Bewegungen, uns aber erscheinen sie als Empfindungen usw. Um diesen Gedanken weiter zu empfehlen und einleuchtender zu machen, beruft man sich dann auf — angeblich — analoge anerkannte Tatsachen. Verhält es sich nicht ebenso bei der Wärme, den Tönen, Farben, Gerüchen und Geschmäcken? Auch hier ist das eigentlich und wahrhaft Wirkliche eine Bewegung oder ein System von Bewegungen. Was aber an sich und in Wahrheit Bewegung ist, erscheint uns als Wärme, Ton, Geruch und Geschmack. Aber eben diese Beispiele zeigen mit einer Klarheit, der zu wider- stehen nur ein in seine Theorien verrannter und verbohrter Intellekt fähig ist, die Unmöglichkeit, die in ihnen gemachte und dort völlig
Zweites Kapitel. Metaphysisdi- psychologische Widerlegong. 29
berechtigte Unterscheidung von Ansiohsein und Erscheinung auf unseren Fall zu übertragen. Nicht eine rechtmäßige Anwendung, sondern nur ein leichtsinniges Spiel mit dem Begriff der Erscheinung bedeutet dieser Versuch. Zweierlei ist, als Voraussetzung der Möglich- keit seiner Anwendung, von dem Begriff der Erscheinung unzertrenn- bar: etwas, das, und — was hier eben in Betracht kommt, ein Bewußtsein, dem etwas erscheint. Alle Erscheinung setzt ein Wesen voraus, das sie wahrnimmt, für welches sie yorhanden ist^) Bei der Wärme, den Farben, Tönen usw. sind diese beiden Bedingungen erfüllt Es ist ein an sich Seiendes vorhanden: Bewegungsvorgänge — und es ist ein — nämlich unser — Bewußtsein vorhanden, dem diese Bewegongs Vorgänge als Wärme, Farbe, Ton usw. erscheinen. Machen wir dagegen das Bewußtsein selbst zu einer Erscheinung, so fehlt das Subjekt, welchem das, was an sich eine Bewegung ist, als Gtedanke, Empfindung usw. »erscheinen« könnte. Die Er- scheinung schwebt haltlos in der Luft als eine Erscheinung an sich, was eine contradiciio in adjecto bedeutet »Die Meinung, daß das Bewußtsein gleich den Tönen, den Farben, der Wärme usw. die Er- scheinung gewisser Bewegungsvorgänge sei, widerspricht sich offen- bar selbst, denn wenn es nicht wirklich da wäre, so könnte ihm auch nicht ein Bewußtseinsvorgang als Ton, oder als Farbe, oder als Wärme, oder als Bewußtsein erscheinen.«') Sobald man alles Seiende »auf oszillierende und wirbelnde Materie reduziert«, kann man nicht zu- gleich behaupten, daß diese bewegte Materie für etwas anderes ge- halten werde. Denn es »fehlt offenbar jede Möglichkeit, daß sie anders als sie ist überhaupt vorkommen oder aufgefaßt werden könnte. Die materiellen Teilchen haben ihre Lagerungen und Bewegungen und weiter nichts; sie bieten gar keine Handhabe für das Zustandekommen irgend einer andersartigen Manifestation ihres Daseins. Andere solche Handhaben sollen ja aber nicht existieren und es ist somit nicht ein- zusehen, wie auch nur eine irrige Vorstellong von dem, was sie eigentlich ist, in die Welt kommen könnte.«^)
Es ist nicht anders. Das Psychische für eine Bewegung erklären und es zugleich in seiner Eigenart als Psychisches festhalten zu wollen, ist unmöglich. Zwei so heterogene, so unvergleichliche und sich gegen- seitig ausschließende Dinge, wie Bewußtsein und Bewegung, können
1) Lotze, Mikrokosmus L 3, Aufl. S. 175, 295.
2) Bergmann, Untersuchungen über Hauptpunkte der Philosophie S. 336.
3) Eb hing haus, Grundzüge der Psychologie S. 35. Vgl. S. 40/41. Ygl. auch Thiele, Phil. d. Selbstbew., S. 174. Adiokes, Kant contra Haeokel S. 27.
30 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des MateriAlismas.
nicht unter Bewahrung ihrer Eigenart miteinander identifiziert werden. Um die Identifizierung durchführen zu können, müßte man zuvor das Bewußtsein zu etwas ganz anderem machen, als es tatsächlich und nach dem Zeugnis unserer eigenen unmittelbaren Erfahrung ist. In der Tat: die Durchführung des G^ankens, das Psychische sei Bewegung, bedeutet in Wahrheit die Elimination des Geistigen. Wem es mit der Behauptung, alles Geschehen sei lediglich ein Oszillieren und Wirbeln von Materie, Ernst ist, der muüs auch versuchen, alles, was man fälschlicherweise sonst als etwas Geistiges, d. h. von Be- wegung Yerschiedenes ansieht, uns in seiner wahren Beschaffenheit als Bewegungsvorgang begreiflich zu machen. YorsteUen und An^ schauen, Empfinden und Fühlen, Wollen und Überlegung, Liebe und Haß, Zorn, Angst, Reue und Verzweiflung sind dann gar nicht das, wofür wir sie halten, sondern sind Bewegungsvorgänge in unserem Gehirn und Nervensystem. Wird sich ein materialistischer Fhysiolog dazu entschließen, »wird er, wenn es ihm widerfahren sollte, sich zu verlieben, nicht mehr seine Liebe bekennen, sondern der Dame von dem entsprechenden vasomotorischen Prozeß, oder, mit Tyndall zu reden , von der rechts gewundenen Spiralbewegung in seinem Hirn reden, meinend, daß er damit alles gesagt und die Sache nach ihrer eigentlichen Wirklichkeit bezeichnet habe?«^) Paulsen hat recht: das ist ja offenbarer Unsinn. Aber so liegt die Sache. Wenn der Materialismus gilt, so kann es in der Welt eben überhaupt nichts anderes geben, als bewegte Materie. In dem Tanz der Atome geht alsdann das Weltgeschehen völlig auf, etwas anderes, etwa ein Geistiges, kann es alsdann gar nicht geben. Also auch nicht ein Erkennen dieser Beschaffenheit der Welt. Wäre der Materialismus als Welt- system eine Tatsache, so wäre er als Philosophie unmöglich. Wäre die Welt so, wie die Materialisten behaupten, so könnte es in ihr keine Materialisten geben, die über die Welt nachdenken und ihre wahre Beschaffenheit erkennen. Nun aber gibt es dies alles, es ist nicht wegzuleugnen, so unbequem es auch sein mag: G-efühl und Vorstellung, Denken und Erkennen, auch das Denken, das die Lehre, Denken sei Bewegung, zum Inhalt hat, und so lange es dies alles gibt, »wird der Materialismus zwar im Bereiche der Schule, die so viele vom Leben sich abwendende Gedanken einschließt, sein Dasein fristen und seine Triumphe feiern, aber seine eigenen Bekenner werden durch ihr lebendiges Tun ihrem falschen Meinen wider-
1) Paulsen, Einleitong S. 86.
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologisohe Widerlegung. 31
sprechen.«^) Die bloße Tatsache, daß es überhaupt Gedanken, Be- wußtsein gibt, widerlegt die Ansicht, daß das Denken Bewegung sei; der Materialist, der das behauptet, steht sich selbst im Wege, die Behauptung dieses Inhalts widerlegt den Inhalt der Behauptung. Das bloße Vorhandensein des Materialismus als eines Systems von Gredanken über die Dinge macht es ganz unmöglich, daß der Oedanke lediglich eine Bewegung der Dinge sei.
2. Wo der vernichtenden Wucht der gegen sie zur Verfügung stehenden Argumente gegenüber die Formel: Das Psychische ist selbst ein Physisches, ein Stoff oder eine Bewegung, endgültig aufgegeben wird, da pflegt seitens des Materialisten mit um so größerer Zähigkeit die andere, den zweiten Typus des Materialismus bildende Formel festgehalten zu werden: das Psychische ist ein Produkt, eine Wirkung der (bewegten) Materie. Aus den ineinandergrei- fenden und sich durchkreuzenden Bewegungen der Gehirn- fasern geht das seelische Leben als ein Erzeugnis derselben hervor. Ihre wesenlichste Stütze hat diese Ansicht in der unleug- baren Tatsache, daß das Seelische, soweit unsere Erfahrung reicht, stets an ein Körperliches gebunden und von ihm in seiner Entwick- lung und Ausbildung sowohl phylogenetisch als ontogenetisch durch- aus abhängig erscheint Auf diese Tatsache beruft sie sich immer wieder aufs neue, sie spielt sie gegen alle gegnerischen Argumente als höchsten Trumpf aus, aus ihr schöpft sie die Kraft, allen Ein- wendungen den zähesten Widerstand entgegenzusetzen.
Legt man den strengsten Maßstab an, so kann freilich diese Ansicht eine materialistische eigentlich nicht mehr genannt werden. Denn sie erkennt ja an, daß es neben dem Physischen auch noch ein Psychisches gibt, und daß dieses Psychische etwas anderes, vom Physischen verschiedenes ist Mag immerhin das Geistige durch die Materie in die Welt hineingekommen sein: nachdem es nun da ist, ist es doch als ein von ihr gänzlich Verschiedenes da. Das Kind ist der Mutter, die es geboren, ganz unähnlich; mit dem ersten Auf- treten des Geistigen hört die Welt, die bis dahin eine bloß materielle war und sich in physischen Vorgängen völlig erschöpfte, auf, moni- stisch zu sein : sie wird dualistisch. Mchtsdestoweniger ist man doch vollkommen berechtigt, diesen Standpunkt, und ist auch er selbst voll- kommenberechtigt, sich als materialistisch zu bezeichnen. Denn als ein-
1) Lotze, Mikrokosmus I. 8. 296.
32 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismns.
heitlicher und alleiiiiger Qrund und Träger alles Oeschehens wird doch auch hier durchaus die Materie festgehalten. Die Materie ist das Primäre, Selbständige, das ursprüngliche und eigentliche Beale, die Substanz des Wirklichen. Das Psychische ist ein Sekundäres, Un- selbständiges, Accidentelles. Zugleich ist es im Oesamthaushalt der Natur etwas Untergeordnetes, fTebensächliches, Vorübergehendes. Es ist ein Nebeneffekt, den die Materie gelegentlich so nebenher mit erzeugt. Die physische Welt ist an sich fertig auch ohne das geistige Geschehen; dieses ist kein wesentlicher und unentbehrlicher Bestand- teil des Universums. Hunderttausende, ja Millionen von Jahren hat sich die Welt genügt, ohne daß geistiges Leben, psychische Regsam- keit in ihr vorhanden gewesen. Nachdem im Yerlauf ungezählter Jahrtausende die Bedingungen geschaffen waren, an welche die Mög- lichkeit psychischen Lebens geknüpft ist, hat sodann die souveräne Materie dasselbe hervorgebracht, um es eine Weile zu unterhalten und dann wieder verschwinden zu lassen^ während sie selbst in alle Ewigkeit beharrt und ihr Spiel in Ewigkeit fortsetzt. So erscheint in dem unendlichen Haushalt der Natur und gemessen an der zeit- lichen Unendlichkeit des physischen Geschehens das geistige Geschehen als etwas Vorübergehendes, Ephemeres, als, mit Büchner zu sprechen, »das kurze Spiel einer Eintagsfliege, schwebend über dem Meer der Ewigkeit und Unendlichkeit«.^) Die Bedingungen, an die seine Existenz geknüpft ist, ändern sich, und es verschwindet, versinkt in die Nacht der Yergangenheit Es ist, als wäre es nie gewesen: ewig und un- veränderlich, unentstanden und unzerstörbar ist allein die Materie. Die Betrachtungen, die man an diese Tatsache zu knüpfen pflegt, um die Nichtigkeit, Wertlosigkeit und Bedeutungslosigkeit des Geistigen recht augenfällig zu machen, sind ja bekannt; es sind immer dieselben, durch allzuhäufigen Gebrauch bereits etwas abgenutzten Requisiten, die dabei zur Yerwendung kommen: das unendliche Weltall mit seinen unzähligen Sonnen und Planeten, unter ihnen, der kleinsten einer, unsere Erde, ein verlorener Punkt im unermeßlichen Baum, ein Tropfen im Meere der Unendlichkeit Und auf diesem verlorenen Punkt — und nur von ihm wissen wir ja gewiß, daß er geistiges Leben auf sich beherbergt — nun, erst spät erscheinend und zu- sammengedrängt auf einen verhältnismäßig kleinen Teil seiner Ober- fläche, das geistige Leben, wie es die lebendigen Wesen, wie es ins-
1) Kraft imd Stoff, Kapitel: Die Zweckmäßigkeit in der Natur, 15. Aufl. S. 258.
Zweites Kapitel. Metaphysisoh- psychologische Widerlegung. 33
besondere der Mensch repräsentiert! Wie schrumpft seine Bedeutung gegenüber dem All und seiner Entwicklung zu einem Nichts zu- sammen! Die Phantasie reicht nicht aus, um den Abstand zu ver- anschaulichen. Der Mensch, seiner eigenen törichten Meinung nach der Mittelpunkt der ganzen Schöpfung, bedeutet in Wahrheit für das Weltall noch weniger, als das Dasein einer Eintagsfliege für die Erde. Wenn das gesamte menschliche Dasein heute aus der Wirklichkeit gestrichen würde, für das Weltall wäre die Einbuße gleich Null, der Verlust gleich einem Tropfen, den der Ozean yerspritzt Die Welt würde ihren Oang weitergehen, als wäre nichts vorgefallen.
In einem merkwürdigen Gegensatz zu diesen die Nichtigkeit und Wertlosigkeit des menschlichen Geistes predigenden Tiraden steht nun freilich der Wert, den die Materialisten auf die Erkenntnis, die doch auch ein Element des so werüosen geistigen Lebens ist, und speziell auf ihre, die materialistische Erkenntnis legen. In demselben Augen- blick ziehen sie alles Geistige in den Staub und erheben sie die materialistische Erkenntnis in den Himmel. Wenn aber wirklich das ganze geistige Leben etwas so untergeordnetes und unbedeutendes, eine solche quantiU n6gUgeable ist, wie die Materialisten behaupten, dann ist es doch wirklich yöUig gleichgültige ob wir so oder so über die Welt denken, dann spielt doch die Wahrheit oder der Irrtum unserer Ansichten über die Dinge schlechterdings gar keine Bolle. Wozu sich darüber streiten, weshalb sich darum mühen? Die einzig logische Eonsequenz der materialistischen Erkenntnis wäre doch , fortan Wissen- schaft nur noch aus praktischen Gründen und um praktischer Zwecke willen zu treiben, im übrigen aber das kurze Leben so intensiv wie möglich zu genieBen. Unsere materialistischen Philosophen sind aber weit davon entfernt, diese Konsequenz für sich zu ziehen. Praktisch werten sie das| Geistige ganz anders, als sie es ihren Theorien zu- folge werten müßten. An Idealismus der Gesinnung, an idealistischer Denkweise beschämen sie — viele von ihnen wenigstens — manchen Vertreter idealistischer Weltanschauung. SelbsÜos stellen sie sich in den Dienst der Wahrheit, deren Erforschung sie ihr Leben gewidmet haben; tief eingewurzelt ist ihnen die Yerehrung, die unbedingte Achtung vor der Wahrheit Frei und offen, mutig und entschlossen treten sie für ihre Überzeugungen ein und geben lieber irdische Vorteile aller Art auf, als daß sie ihnen untreu werden. Unbekümmert um alle Verlockungen, Drohungen, Verleumdungen und Vorurteile halten sie treu zu der Fahne, zu der sie geschworen, halten sie fest an dem, was sie als wahr erkannt haben. Begeistert stellen sie sich in den
Baste, Oeist und KOrper, Soele und Leib. 3
34 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des MateriaLismus.
Dienst der Menschheit, arbeiten sie an der YerroUkommnung und Ver- edlung des Menschengeschlechts, ToUer Enthusiasmus kämpfen sie für Aufklärung und Geistes&eiheit, leidenschaftlich eifern sie gegen Ge- wissenszwang und Knechtung des Geistes. Oder sie streben wohl auch ehrgeizig danach, ihre Namen in das Buch der Geschichte einzutragen, im Andenken der zukünftigen Geschlechter fortzuleben: sie trachten nach der Unsterblicheit, die der Ruhm verleiht. Und ihre eigene Lehre verbreiten und verfechten, beweisen und verteidigen sie mit einer Hingebung, mit einem Eifer und mit einer Leidenschaft, als sei sie die wichtigste Angelegenheit der Welt, als hinge das Heil der ganzen Welt davon ab, daß sie sich durchsetze und allgemein anerkannt werde. * Solch Verhalten sticht doch von der Behauptung der gänzlichen Un Wichtigkeit und Wertlosigkeit alles Geistigen, welche die Theorie enthält, gar seltsam ab; es bedeutet eine Inkonsequenz, freilich eine solche, welche unseren Materialisten persönlich nur zur Ehre gereicht Sie widersprechen, wie Lotze sagt, durch ihr lebendiges Tun ihrem falschen Meinen. Wer das Streben nach der Wahrheit so hoch schätzt und die Bedeutung der wahren Erkenntnis so hoch anschlägt, kann nicht zugleich alles Geistige für etwas halten, das in der Welt und für die Welt schlechterdings gamichts bedeutet Solche Wertschätzung des Geistes, der Erkenntnis, der Wahrheit ist doch geeignet, uns gegen das kosmische Weltbild, welches die Welt in einem Mücken- tanz von Atomen aufgehen läßt und das Geistige in den Winkel stößt, mißtrauisch zu machen. Und der durch Mißtrauen geschärfte Bück erkennt denn auch bald die Fehler und Schwächen jener Kos- mologie. Freilich, daran läßt sich nicht rütteln: seiner räumlich - zeitlichen Erscheinung nach ist das geistige, zumal das höhere geistige Leben, das für uns wieder mit dem menschlichen Leben, dem ein- zigen, von dem wir eine wirkliche Kunde besitzen, zusammenfällt, in engen Grenzen eingeschlossen. Es entfaltet sich auf einem ver- schwindend kleinem Teile des unermeßlichen Universums; einem Meteor gleich taucht es für einen Moment aus der Nacht der Ewig- keit auf, um alsbald wieder in sie zu versinken. Aber ist die Be- deutung des Geistigen abhängig von der räumlichen Ausdehnung und der zeitlichen Dauer seines Erscheinens? Ist das materielle Sein und Geschehen, weil es sich millionen- und abermillionenmal über den Teil hinausdehnt; der der Schauplatz des geistigen Lebens ist, und weil es unendlich viel länger dauert, als das geistige Leben, deshalb wichtiger und bedeutungsvoller, realer und wirklicher, als dieses? Doch nicht Die Bedeutung, der Wert des Geistigen läßt sich nicht
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psycbologisohe Widerlegung. 35
mit !ßaam- und Zeitmafien ausmessen, er ist unabhängig von, er- haben über Raum und Zeit. So wie wir ein kurzes, aber durch inneren Reichtum und bedeutende Leistungen ausgezeichnetes Leben trotz seiner Kürze für unvergleichlich viel wertvoller halten als ein sehr langes, aber mit lauter Nichtigkeiten ausgefülltes, so kann auch das geistige Leben überhaupt, auch weim es erst an einem späten Moment der Weltentwicklung erscheint und nach verhältnismäBig kurzer Zeit wieder daraus verschwindet, dennoch unendlich viel wert- voller sein als alles, was an sonstigem Geschehen ihm vorausgeht, es begleitet und ihm folgt. Was bedeuten denn jene ungeheueren Zeiträume, welche dem Auftreten des Lebens auf unserem Planeten vorhergingen? Sind sie etwa schon dadurch etwas Großartiges, dafi sie so ungeheuerlich lang sind? Dann wäre am Ende auch ein leeres Nichts, wenn es nur genügend lang ist, schon etwas Großes und Großartiges! Oder bedeuten sie etwas durch die Vorgänge, die ihre ungehenere Leere anfüllen? Was sind denn diese Yorgänge, so un- geheuer in Zahlen ausgedrückt ihre Dauer, ihre Dimensionen, die in ihnen auftretenden Massen und Kräfte auch sein mögen, wenn man sie nicht schon als vorbereitende Schritte zur Ermöglichung geistigen Lebens auffaßt, anderes als viel Lärm um nichts? Und die unermeßlichen Entfernungen, die unsere Erde von den äußersten unserer Wahrnehmung erreichbaren Weltkörpem trennen, sind sie an und für sich schon etwas Großartiges, demgegenüber das Geistige selbst zu einem Nichts zusammenschrumpfte? Ist es wirklich etwas 80 Großartiges, vor dem aller Wert des Geistigen verblassen muß, daß auf Millionen und aber Millionen von Meilen im Weltall nichts ist, bloß leerer Baum? Oder können die ungeheueren Klumpen gasförmiger, glühendflüssiger oder fester und starrer Materie, welche in dieser ungeheueren Leere ihre Wege ziehen, können sie Anspruch darauf erheben, etwas so Besonderes, Bewunderungs- und Yerehrungs- wüxdiges zu sein? Was sind sie denn anderes als Anhäufungen ganz gemeinen, simplen Stoffes, Spottgeburten aus Dreck und Feuer! Welch merkwürdige Verehrung, welch unsinnige Vergötterung eines leeren Unendlichen, des gemeinen Stoffes und seiner blinden Kräfte! Welch seltsame Verkennung und Herabsetzung des allein Wertvollen und Bedeutsamen, des lebendigen Geistes! Nur eine Verirrung des mensch- lichen Geistes, die seltsamste, wie Lotze sehr wahr bemerkt, hindert uns, m dem geistigen Leben, das sie in sich erzeugt und in sich enthält, allen Wert und Bedeutung, alle Größe und Erhabenheit, Ziel, Zweck und eigentlichen Lihalt der ganzen Welt und ihrer ge-
36 Zweiter Abschnitt Die 'Widerlegung des Materialismus.
samten Entwicklung za sehen. Die räumlich -zeitlichen Größen der physischen Welt und die enge zeitlich -räumliche Begrenzung der Erscheinung des Geistigen stehen solcher Ansicht bei unbefangener Betrachtung und Schätzung gamicht im Wege.
Was verschlägt es dem Weltgeist, wenn selbst Millionen von Jahren vergehen, ehe das geistige Leben erscheint! Ein Mensch mag bei so langem Verzug die Geduld verlieren, der Weltgeist hat Zeit, er kann warten. Ihm, dem ewigen, sind tausend Jahre wie ein Tag und ein Tag wie tausend Jahre. Ja, ein Anhänger teleologischer Welt- betrachtung würde gerade in der ungeheueren Länge der dem Auf- treten des geistigen Lebens vorangehenden Zeit einen Beleg dafür er- blicken können, daß das geistige Leben die wichtigste Angelegenheit des ganzen Weltprozesses ist. Unwichtige Angelegenheiten, so könnte er argumentieren, bedürften keiner umständlichen Yorbereitung, wichtige Dinge aber bereite man lange und sorgfältig vor. Wie wichtig müsse aber dem Weltgeist das geistige Leben erschienen sein , da er sich nicht gescheut habe, ungeheuere Entwicklungsperioden daran zu wenden, lediglich um ihm den Boden zu bereiten? Yor der platten und geistr losen Ansicht, daß das Geistige lediglich das zufällige (obzwar natur- notwendige) Ergebnis des blinden Wirkens eines bloßen Mechanismus sei, hat dieses Argument doch noch manches voraus.
Aber die räumliche Unendlichkeit! Jene unzähligen Weltkörper von zum Teil unermeßlichen Dimensionen, sind sie nicht, wenn die Erde der alleinige Schauplatz höheren geistigen Lebens ist, vom teleologischen Standpunkt aus betrachtet eine ganz zweck- und sinn- lose Zugabe, eine Yergeudung von Massen und Kräften? Macht dieser Umstand nicht eben jede teleologische Wertung des Geistigen un- möglich? Keineswegs. Zunächst wissen wir nicht, ob nicht auch andere, ob nicht alle Weltkörper geistiges Leben in irgend einer Form in sich bergen. Wäre diese Möglichkeit aber auch schlechthin zu verneinen, die teleologische Auffassung wäre damit doch noch nicht ad absurdum geführt.
Wenn dieses ganze ungeheure Aufgebot von Fixsternen, Planeten und Kometen und von ihre Bewegung regelnden Gesetzen wirklich keinen anderen Zweck hätte, als für den denkenden Menschengeist ein würdiges Objekt seines Nachdenkens undForschens abzugeben, ihm ein Gegenstand ästhetischen Genusses, der Bewunderung und der Er- bauung zu sein, so hätte er doch einen, und zwar einen sehr ver- nünftigen Zweck, einen Zweck, der die ungeheueren dafür aufge- wandten Mittel durchaus rechtfertigte. Einem Menschen, der mit
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 37
beschränkten Mitteln beschränkte Zwecke verfolgt, mag es scheinen, als stunden die angewandten Mittel nicht im richtigen Verhältnis zu dem Zweck, der durch sie erreicht werden soll. Dem Weltgeist aber kosten jene Mittel nichts, er kann aus dem YoUen wirtschaften, ihm stehen unendliche Mengen von Massen und Kräften zur Yerfügung) und wenn er seine Allmacht dazu gebraucht, den unendlichen Baum mit einer unermeßlichen Anzahl von Weltkörpem zu bevölkern, uns den erhabenen Anblick des sternbesäten Himmels zu geben und den Gedanken der Allmacht und Unendlichkeit uns immer aufs neue gleichsam ad oeulos zu demonstrieren, so haben wir keinen Grund, dies Verfahren aus Unverstand zu bemäkeln. Und weiter: so groB und gewaltig auch die Mittel zu sein scheinen, größer und bedeutender ist doch das Denken, welches das ungeheuere Weltgebäude seiner Erkenntnis unterwirft, größer und erhabener das menschliche Ge- müt, das den (bedanken des Unendlichen zu fassen, sich in ihn zu versenken und an ihm sich zu erbauen vermag. Vor der Größe und der Bedeutung des Geistigen schrumpft doch die räumliche Größe des Kosmos fast zu völliger Unbedeutendheit zusammen. Auch ist das, was wir am Kosmos bewundern, nicht eigentlich seine räumliche Größe und physische Gewalt; diese sind uns nur Symbole der Kraft und der Größe des in ihnen sich objektivierenden schöpferischen Geistes, dem unsere Bewunderung, unsere Yerehrung gilt. Wir bewundem nicht die ungeheueren Entfernungen und Anhäufungen von Materie, sondern den allmächtigen und all weisen Geist, der einen solchen Kosmos entwerfen, denverwickelten und doch wieder so überwältigend einfachen Mechanismus seiner Gesetzmäßigkeit konstruieren und nach den von ihm selbst gegebenen ewigen und unveränderlichen Gesetzen seine Entwicklung leiten konnte, wir bewundern und verehren den Geist, dem wir gleichen, weil wir ihn begreifen.
Wäre also das Geistige wirklich ein Erzeugnis materieller ProzesöQ, so würden wir der an diese Ansicht geknüpften Behauptung der völlig nebensächlichen und untergeordneten Bolle, welche es im Haushalt der Natur spiele, doch nicht beitreten können. Wir würden vielmehr dann behaupten, daß die materiellen Prozesse von vornherein darauf angelegt seien, das Geistige als ihr höchstes Produkt, in welchem die Entwicklung der ganzen Welt sich vollendet, aus sich hervorzubringen, daß die Entwicklung der ganzen Welt nach diesem Ziel hin gravitiere, alle der Entstehung des Geistigen vorhergehenden, wenn auch noch so lange Zeiträume füllenden Vorgänge doch nur um des Geistigen willen, um jenes zu ermöglichen und ihm den Boden zu bereiten.
38 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des Materialismus.
vor sich gegangen seien. Aber indem wir so den Zweckgedanken in den physischen EntwicklongsprozeB hineinbrächten ^ hätten wir freilich zugleich das Geistige als den Grund und die Bedingung aller physischen Entwicklung an die Spitze derselben gestellt und damit die Ansicht, da£ es ein Ergebnis dieser Entwicklung sei, als unmöglich angegeben. —
Es wird nun Zeit, den Faden unserer eigentlichen Untersuchung wieder aufzunehmen und in nüchterner Überlegung zu zeigen, daß es in der Tat unmöglich ist, das Geistige als ein Produkt materieller Prozesse, etwa der ineinandergreifenden Bewegungen unserer Gehim- fasern, zu betrachten.
Zur Widerlegung dieser Form des Materialismus hat man sich desselben Argumentes der Unvergleichlichkeit physischer und psychischer Vorgänge bedient, das wir oben benutzten, um die Un- möglichkeit der Ansicht, das Psychische sei eine Eigenschaft der Materie, nachzuweisen. Diese Unvergleichlichkeit, sagt man, mache es unmöglich, das Psychische als eine Wirkung aus den Bewegungen materieller Teile als ihrer Ursache hervorgehen zu lassen. Yon diesem Gesichtspunkt aus hat Leibniz in seiner Monadologie in dem be- kannten »Mühlenbeispiele« (Monadologie 17) die Unmöglichkeit der materialistischen Ansicht anschaulich und drastisch zu erweisen ver- sucht »Übrigens muß eingeräumt werden, daß die Vorstellung und das, was davon abhängt, sich aus mechanischen Gründen, d. h durch die Gestalten und die Bewegungen, nicht erklären läßt Angenommen, es gebe eine Maschine, die vermittelst ihrer Einrichtung ein Denken, Fühlen und Vorstellen bewirkt, so wird man sich die- selbe unter Beibehaltung derselben Verhältnisse so vergrößert denken können, daß man in sie wie in eine Mühle eintreten kann. Dies vorausgesetzt, wird man bei der Besichtigung des Innern immer nur Teile finden, die einander treiben, nie aber etwas, wodurch eine Vor- stellung erklärt werden könnte.« In neuerer Zeit hat besonders Lotze dasselbe Argument angewandt und seine Wichtigkeit wiederholt hervorgehoben. »Alles«, heißt es im Mikrokosmus, »was den mate- riellen Bestandteilen der äußeren Natur oder donen unseres eigenen Körpers begegnen, alles, was ihnen als einzelnen oder als mannigfach verbundenen zustoßen kann, die Gesamtheit aller jener Bestimmungen der Ausdehnung, Mischung, Dichtigkeit und Bewegung, dies alles ist völlig unvergleichbar mit der eigentümlichen Natur der geistigen Zu- stände, mit den Empfindungen, den Strebungen, die wir tatsächlich auf sie folgen sehen und irrtümlich aus ihnen entstehen zu sehen
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 39
glauben. Keine vergleichende Zergliederung würde in der chemischen Zusammensetzung eines Nerven, in der Aufspannung, in der Lagerungs- weise und der Beweglichkeit seiner Teile den Grund entdecken , warum eine Schallwelle, die ihn mit ihren Nachwirkungen erreichte, in ihm mehr als eine Änderung seiner physischen Zustände hervorrufen sollte. Wie weit wir auch den eindringenden Sinnesreiz durch den Nerven verfolgen, wie vielfach wir ihn seine Form ändern und sich in immer feinere und zartere Bewegungen umgestalten lassen, nie werden wir nachweisen können, daß es von selbst in der Natur einer so erzeugten Bewegung liege, als Bewegung aufzuhören und als leuchtender Glanz, als Ton, als Süßigkeit des Geschmacks wiedergeboren zu werden. Immer bleibt der Sprung zwischen dem letzten Zustande der materiellen Elemente, den wir erreichen können, und zwischen dem ersten Auf- gehen der Empfindung gleich groß, und kaum wird jemand die eiüe Hofhung nähren, daß eine ausgebildetere Wissenschaft einen geheimnis- vollen Übergang da finden werde, wo mit der einfachsten Klarheit die Unmöglichkeit jedes stetigen Übergehens sich uns aufdrängt«^) Darin aber besteht eben der »schlimme und alle Weltauffassung wahr- haft zerstörende« Materialismus, daß man aus der Wechselwirkung der Stoffe, sofern sie Stoffe sind, aus Stoß und Druck, aus Spannung und Ausdehnung, aus Mischung und Zersetzung die Fülle des Geistigen als eine leichte Zugabe von selbst entstehen läßt; daß man glaubt, so selbstverständlich, wie aus zwei gleichen und entgegengesetzten Bewegungen Ruhe, oder aus zwei verschiedenen eine dritte in mitt- lerer Richtung entsteht, so gehe aus der Durchkreuzung der physischen Vorgänge die Mannigfaltigkeit des inneren Lebens hervor.« >) In ganz ähnlicher Weise argumentiert, um noch ein Beispiel anzuführen, Otto Liebmann. »Die Leistung eines Organs empirisch erklären,« führt er aus, »heißt . . . nichts anderes als aus den physischen Be- schaffenheiten dieses Organs dessen Leistung als naturgesetzlich not- wendigen Effekt deduzieren, so etwa wie man die Leistung einer Lokomotive aus der Expansionskraft des heißen Wasserdampfes und
1) Ifikrokosmas, Bd. I, 3. Aufl. S. 164. 165. Vgl. Metaphysik 1879, 8. 474, Medizinische Psychologie, Leipz. 1852, S. 11. Dasselbe Argument der Unvergleich- lichkeit physisohernnd psychischer Vorgänge verwenden zu gleichem Zweck Eülpe, Einl. S. 134, Adickes, Kant contra Haeckel S. 30— 31, Dubois-Reymond, a. a. 0. (mit den früher 8. 15 erwähnten EiDSohräDkungen) 8. 42. 69. Kant streift den Gedanken in der Kr. d. r. V. A. 386. 387. Vgl. auch Ladd, Philosophy of Mind, New York 1895, S. 293—296. Höfler, Psychologie S. 47 — 48.
2) Ebendaselbst S. 168.
>f
40 Zweiter Abschnitt Die Widerlegasg des Materialismus.
dem Mechanismus der Maschinenteile als notwendige Folge deduzieren kann. In diesem Sinne (dem einzig wissenschaftlichen) ist denn z. B. die Funktion des Auges und die des Ohres bis auf einen gewissen Grad erklärlich und erklärt«^) Das Psychische, fügt er hinzu, kann man aber nicht in dieser Weise aus der Beschaffenheit und den Ver- richtungen des Oehims erklären. »Zwischen dem Bau des Auges und
dem Sehen ist ein Eausalnexus ganz entschieden nachweisbar ,
zwischen den Eigenschaften des Oehims und seinen intellektuellen Leistungen leider nicht. «>)
Ich vermag doch — mit Paulsen*) — der Ansicht, daß die Unvergleichlichkeit physischer und psychischer Vorgänge an sich schon genügt, jede Möglichkeit einer kausalen Verknüpfung beider in dem Sinne, daß das Psychische eine Wirkung physischer Vorgänge sei, auszuschließen, nicht beizustimmen. Das freilich ist richtig, der Kausalzusammenhang, den wir zwischen einem physischen Vorgang und seiner psychischen Wirkung herstellen, nimmt sich ganz anders aus als der, welchen wir zwischen einem physischen Vorgang und seiner physischen Wirkung etablieren. Im letzteren Falle bleiben wir innerhalb gleichartiger Vorstellungen. Verfolgen wir in Lotzes Beispiel den durch eine äußere Einwirkung eingeleiteten nervösen Prozeß, so sehen wir — oder sähen wir, wenn wir, mit den Fähig- keiten des »Laplaceschen Oeistes« ausgerüstet, eine »astronomische Kenntnis«^) des Oehims und Nervensystems besäßen — Bewegung sich an Bewegung schließen, die Bewegungen sich immer mehr verästeln und verzweigen und immer feinere und zartere Formen annehmen, aber wir blieben doch innerhalb derselben Oattung von Vorgängen, innerhalb derselben Vorstellungsweise. Ebenso, wenn wir in Leib- niz' :»Mühle« umherspazierten oder mit Liebmann den Mechanismus des Ohres oder Auges beobachteten. Demgegenüber erscheint freilich eine Umwandlung von Bewegung in Empfindung als eine fietdßaatc ek äXXo yivog, ebenso unverständlich und unerklärlich, wie die Um- wandlungen auf physischem Oebiet verständlich und erklärlich er- scheinen. Aber schließlich scheinen sie uns doch hier nur ver- ständlich und erklärlich zu sein. Eine tiefer gehende Überlegung
1) Analysis der Wirklichkeit, Eapitel »Gehirn und Geist« 1. Aofl. S. 530.
2) Ebendaselbst S. 532.
3) Einl. 1. Aufl. S. 81/82, 6. Anfl. 8. 82. Vgl. auch Riehl, Eritizismos II* S. 178.
4) Die beiden, seitdem oft wiederholten Ausdrücke bei DuboisReymond, Grenzen d. Naturerk. Leipz. 1891, S. 17 f. o. S. 37/38.
Zwoites Kapitel. Metaphysisoh- psychologische Widerlogoog. 41
zeigt doch, daB nur das ruhige Fortgleiten in der gleichen und ge- wohnten Anschauungsweise uns darüber hinwegtäuscht, daß die Um- wandlungen und Kausalzusammenhänge auf physischem Gebiete letzten Endes genau so unerklärlich (beziehungsweise auch: genau so erklär- lich) sind, als da, wo, wie bei der Annahme eines physio- psychischen Kausalzusammenhanges, die ünvergleichlichkeit der beiden Glieder uns nachdrücklicher auf das Unbegreifliche ihres Zusammenhanges und Auseinandererfolgens hinweist Ist es uns iigendwie erklärlicher, daß eine Bewegung in Wärme oder Elektrioität übei^eht, wie daß sie sich in Empfindung umwandelt? Können wir dort eher als hier nachweisen, daß es von selbst in der Natur der Bewegung liege, als Bewegung au&uhören und als Wärme, Elektrioität wiedergeboren zu werden ? Bleibt nicht auch hier der Sprung zwischen der letzten Be- wegungsform, die wir erreichen, und der Entstehung der Wärme gleich groß? Und wenn es nun unserer Wissenschaft gelänge, alle uns anders erscheinenden Naturvorgänge in Mechanik der Atome, in Bewegungen, Lagerungen und Umlagerungen materieller Teilchen au&ulösen, also die mechanistische Denkweise völlig durchzuführen: bleibt nicht schließlich die Entstehung einer Bewegung aus einer anderen oder der Übergang von Massenbewegung in molekulare Be- wegung aller Anschaulichkeit der Vorstellungsweise zum Trotze doch ebenso unerklärlich, wie die wegen ihrer Unerklärlichkeit als unmöglich zurückgewiesene Entstehung einer Empfindung aus einer Bewegung? Besteht hier etwa ein logischer, denknotwendiger Zusammenhang ZTAischen der Ursache imd der Wirkung, dergestalt, daß wir aus dem Begriff des die Ursache bildenden Vorganges oder Komplexes von Torgängen die Wirkung als seine denknotwendige Folge in einem analytischen Urteile ableiten können, ebenso wie wir aus dem Begriff des Kreises ableiten, daß sein Inhalt — r^jv ist? Das wird, nachdem Hume und Kant, in diesem Punkte miteinander übereinstimmend, die Sache im negativen Sinne entschieden haben , niemand mehr be- haupten wollen. Daß, wie immer es auch um das allgemeine Kausali- tätsprinzip stehen möge, jedenfalls alle speziellen Kausalzusammen- hänge und damit die sie ausdrückenden Formeln, die empirischen Naturgesetze, aus der Erfahrung stammen, darüber braucht man wohl heutigen Tages kein Wort weiter zu verlieren. ^) Wo wir aber einen
1) Ich habe in meinem Buche: Philosophie und Erkenntnistheorie, Leipz. 1894, 8. 182 — 211 den empirischen Charakter der Naturgeeetze, der sie, mit Leibniz zu reden, zu bloßen tiritis de fait macht, ausführlich erörtert und in der An- merkung 8. 211 f. eine Anzahl die gleiche Ansicht vertretender Autoren (Hume
42 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des MateriaUsmnB.
logischen, denknotwendigen Zasammenhang nicht herzustellen ver- mögen, da können wir zwar, dem Fingerzeige der Erfahrung folgend und unsere Beobachtungen durch sorgfältig ausgedachte Experimente unterstützend, den tatsächlichen Zusammenhang registrieren und auf Grund solches Wissens Zukünftiges in immer größerem Umfange voraussehen: — warum aber eigentlich ein bestimmter Zustand regel- mäßig auf einen anderen bestimmten Zustand folgt und wie die Dinge es anfangen, die Wirkungen hervorzubringen, die wir sie tatsächlich hervorbringen sehen, das alles bleibt auch bei vollkommenster Beherr- schung des gesamten empirisch möglichen Wissens gleich unbegreiflich. »Eine Erscheinung erklären«, sagt Paulsen sehr richtig, »heißt in den Naturwissenschaften überall nichts anderes, als eine Formel finden, unter der sie als Fall begriffen ist, mit deren Hilfe sie vorhergesehen, berechnet, unter umständen auch herbeigeführt werden kann.«^)
Also wir sind in der Natur, wo Ursache und Wirkung ver- gleichbar sind, um nichts besser daran, als wenn wir das Psychische als eine Wirkung an ein mit ihm unvergleichliches Physisches knüpfen wollen: hier wie dort finden wir es gleich unmöglich, die Wirkung analytisch aus der Ursache abzuleiten. Mithin bildet die Unmög- lichkeit solcher Ableitung keinen genügenden Orund, den Materialis- mus abzulehnen. »Wie es dem physiologischen Vorgang gelingt, eine Empfindung hervorzubringen, das nicht zu wissen kann uns nicht
Lotze, Paulsen, Sigwart, Dilthey, Windelband, Bain, Jevons, Hill, Kant) namhaft gemaoht. Die Zahl der dort Genannten ließe sich leicht um ein Bedeutendes vermehren, ich verzichte indes darauf, noch mehr Gewährsmänner anzuführen. Nur möchte ich noch bemerken, daB auch Bergmann, der meta- physisch durchaus auf dem Standpunlcte steht, daß jede Phase der Weltentwickiung die logisch -notwendige Folge der vorhergehenden sei und von einem alles durch- schauenden Yei-stand auch als solche erkannt werde, dennoch hervorhebt, daß für unser Erkennen die Möglichkeit, »wie das bloße Dasein eines Körpers eine Ver- änderung in dem Bewegungszustande eines anderen zur Folge haben könne«, nicht weniger unbegreiflich sei, als wie ein Körper Bewußtsein erzeugen könne (Unter- suchungen über Hauptpunkte der Philosophie S. 357). Külpe sagt zwar £inl. S. 134: »Es ist nicht wahr, daß auch bei rein physischen Zusammenhängen die gleiche ünbegreiflichkeit stattfinde. Denn hier kann jederzeit durch eine begrifiEliche oder anschauliche Konstruktion die Notwendigkeit des Eintritts bestimmter Ereig- nisse dargelegt werden.« Ich glaube aber nicht, daß er Notwendigkeit hier im Sinne logischer, auf dem Prinzip der Identität beruhender Notwendigkeit faßt Anderenfalls möchte ich eine derartige Darlegung wohl einmal kennen lernen. Die begriffliche oder anschauliche Konstruktion kann, gestüzt auf Erfahrung, uns den Zusammenhang der Ereignisse klar machen, aber nicht die Notwendigkeit dieses Zusammenhanges beweisen.
1) Ein!. 1. Aufl. S. 81/82, 6. Aufl. S. 82.
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 43
beschweren, so lange wir auch nicht wissen, wie eine Bewegung die andere hervorbringt«*)
Aber nicht nur das unberechtigte des Verfahrens, die TJnbe- greiflichkeit dar Entstehung psychischer Prozesse aus physischen Ur- sachen unmittelbar als Argument gegen die Behauptung solcher Entstehung zu verwenden, zeigt uns der Vergleich mit den physischen Kausalzusammenhängen, er muß uns sogar dieser Ansicht günstiger stimmen. Überall, wo wir ein Ereignis b mit einem anderen a regel- mäßig verbunden erblicken, dergestalt, daß auf a immer b folgt und be- stimmten Modifikationen des a auch regelmäßig bestimmte Modifika- tionen des b entsprechen, spricht diese Tatsache sehr stark zu Gunsten des Vorhandenseins eines kausalen Zusammenhanges zwischen a und b. Nun fiadet aber ein derartiges Verhältnis zwischen den physiologischen und den psychischen Prozessen doch unzweifelhaft statt. Die Ab- hängigkeit des seelischen Lebens von den körperlichen Zuständen und Verrichtungen, durch so viele allgemeine und spezielle Erfahrungen and Beobachtungen bezeugt, ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Bestimmte physische Dispositionen und Indispositionen, abnorme Ver- hältnisse und krankhafte Veränderungen ziehen entsprechende psy- chische Modifikationen nach sich; die ganze Entwicklung und Ent- £altung, der Fortschritt und schließlich die Abnahme und das Erlöschen des geistigen Lebens ist an die körperliche Entwicklung geknüpft und von ihr abhängig. Mit demselben Recht, mit dem wir, ohne uns an die ünbegreifUchkeit des Wie zu stoßen^ überall von beobachteter Begelmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit eines Zusammenhanges auf das Vorhandensein eines Kausalitätsverhältnisses schließen, müssen wir daher, so scheint es, auch die psychischen Vorgänge, die wir regel- mäßig und in bestimmter Weise auf bestimmte physische Vorgänge folgen sehen, auch als Wirkungen dieser Vorgänge aufi[assen, wie es der Materialismus auch stets getan hat —
1) Paulsen, a. a. 0. 1. Aufl. S. 82/83, 6. Aufl. S.*83. Vgl. Sigwart, Logik II, 2. Aufl. 1893, S. 209, Erhardt, die Wechselw. zw. Leib u. Seele, Leipzig 1897, S. 31 — 38. Behmke, Allg. Psych. S. Il2f., die Seele des Menschen S. 21, 22. James, Principles of Psyohology I, London 1891, 8. 136—137, vgl. auch S. 181. Vgl. auch Dilthey, Einl. i. d. Geisteswissenschaften, Lpz. 1883, S. 12f. Erst die Einheit des Bewußtseins, die Spontaneität u. Freiheit des Geistes sollen uns nach D. berechtigen, seine Selbständigkeit dem Physischen gegenüber zu behaupten. Daß indes auch die Unvergleichlichkeit des Physischen und Psychischen, in richtiger Weise benutzt, die Selbständigkeit des Geistigen zu erweisen geeignet ist, wird weiter unten gezeigt werden.
44 Zweiter Absohnitt. Die Widerlegang des Materialismas.
Nichtsdestoweniger aber bildet die ünvergleichlichkeit der physischen und psychischen Yorgänge, in richtiger Weise benutzt und zur Oeltung gebracht, doch ein völlig ausreichendes Argument, um wie die Ansicht, daß das Psychische selbst ein Physisches, so auch die andere, uns hier beschäftigende zu widerlegen, daß es eine Wirkung des Physischen sei. Genügt sie auch an und für sich nicht, die Annahme eines Eansalzusammenhanges zwischen Physischem und Psychischem zu verbieten, da die ünbegreiflichkeit des Zusammen- hanges hier nicht größer ist, als bei vergleichbaren Ursachen und Wirkungen, wo sie als kein Hindernis angesehen wird, so macht sie eine solche Annahme dennoch unmöglich, sobald man alle die Nebengedanken mitdenkt, die für die Vorstellung des Verhält- nisses von Ursache und Wirkung unerläßlich sind.
Niigends bedeutet ja der Begriff der Ursache, daß dieselbe die Wirkung als ein bisher noch nicht vorhanden gewesenes Wirkliches gleichsam erschaffe. Überall ist die Wirkung nur eine Veranderung eines schon vorhandenen Wirklichen; nicht die Dinge selbst, sondern nur ihre Zustände werden durch den Kausalzusammenhang erzeugt und beseitigt Wäre also der Körper die erzeugende Ursache des Geistigen, so könnte er dasselbe doch nicht als ein neues, von ihm selbst ganz verschiedenes Wirkliches, als eine geistige Substanz, eine Seele aus dem Nichts erzeugen und so die Anzahl der vorhandenen Dinge vermehren,^) sondern wir müßten uns denken, daß in genau derselben Weise, wie in einem System materieller Teile aus irgend welchen in ihm vorhandenen physikalischen oder chemischen Zuständen andere physikalische oder chemische Zustände in gesetzmäßiger Weise hervorgehen, so auch unter bestimmten Bedingungen in ihm aus solchen physischen Zuständen psychische Zustände hervorgehen und auftreten können.
Die aus den ineinandergreifenden Wirkungen seiner Teile auf naturgesetzlichem Wege im Ganzen des Systems oder in einem be- stimmten Teile desselben entstehenden psychischen Zustände müßten also — und das ist eben der entscheidende Punkt — als Bestimmt- heiten eben dieses materiellen Systems betrachtet werden. Das aber verbietet nun allerdings die Unvergleichlichkeit des Phy- sischen und des Psychischen. Es ist ganz unmöglich, das Psychische als eine Bestimmtheit eines materiellen, ausgedehnten, im Raum be-
1) Thiele, Phil. d. Selbstbewußtseins, Berlin 1895, S. 174. Rehmke, die Seele des Menschen, Lpz. 1902, S. 19.
Zweites Kapitel. Metaphyaisoh-psychologisohe Widerlegung. 45
findlichen und in ihm beweglichen Systems, eines Gehirns oder Nerven- systems, zn denken: das Physische iind das Psychische schließen sich gegenseitig aas. Ein materielles System kann nur Bestimmt- heiten haben, die mit seiner Natur als materiellem System verträglich sind. Es hat Größe und Gestalt, einen Ort im Baum, es ist aus Teilen zusammengesetzt Es bewegt sich oder seine Teile bewegen sich gegeneinander. Das sind seine Grundeigenschaften, auf welche wir folglich alle übrigen, licht und Farbe, Wärme und Elektricität, zurückzuführen suchen. Auch wenn das nicht vollständig gelingen sollte, so sind doch auch diese Eigenschaften als Eigenschaften eines materiellen Systems widerspruchslos denkbar. Sie haben eine räum- hebe Natur und Wirkungsweise, sie haften an Flächen und verbreiten sich über solche.^) Aber das Geistige? Ihm als einem ganz anders gearteten ist alles Bäumliche durchaus fremd. Gedanken, Gefühle, Empfindungen haben weder räumliche Größe noch räumliche Gestalt, sie haben keinen Ort im Baum und zwischen ihnen bestehen keine räumlichen Beziehungen; sie sind weder nebeneinander noch über- onter- oder hintereinander, sie verbreiten sich nicht über Flächen und haften nicht an Flächen, und so können sie denn auch nicht im oder am Gehirn oder einem Teile desselben, können sie nicht eine Be- stimmtheit, ein Zustand desselben sein. An der ünvergleichlichkeit des geistigen und des körperlichen Seins und Geschehens, an der durch diese ünvergleichlichkeit bedingten Unmöglichkeit, das Psy- chische als eine Bestimmtheit des Körpers zu fassen , muß daher aller- dings auch der Versuch, das Psychische als eine Wirkung, eine Funktion der Materie hinzustellen, notwendig scheitern.') Wenn die
1) Vgl. hierzu die AusführoDgen der Note 1 S. 23 f.
2) Daß dies in der Tat der entsoheideude Punkt ist, kann man aas Lotzes Darlegungen im Mikrokosmus deutlich entnehmen. Es ist der Gedanke, der allen seinen Ansführongen eigentlich zu Grande liegt, in der Darstellung aber in den anderen, oben erörterten übergeht. Auch die folgende, bei ihm sich findende Argu- mentation schöpft aus ihm ihre eigentliche Kraft. »Überall, wo wir ein Element £rfolge hervorbringen sehen, die wir weder aus seiner beständigen Natur, noch aas der Bewegung, in der es sich aogenblicklich befindet, verstehen können, suchen wir den ergänzenden Grund dieser Wirkung in der anders gearteten Natur eines zweiten Elementes, die, von jener Bewegung getroffen und angeregt, aus sich den Teil oder die Form des Erfolges erzeugt, die wir vergeblich aus dem ersten ab- zuleiten versuchen würden« (Mikrokosmus Bd. I, 3. Aufl. S. 166). So bringt nicht der Feuerfunke allein die Explosion hervor, sondern er ist nur die veranlassende Bedingung füi* das Pulver, diese Erscheinung hervorzubringen. »Zu denselben Schlüssen berechtigt uns die XJnvergleichbarkeit der materiellen Zustände und ihrer
46 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegong des MateriaUsmos.
Lunge atmet, der Magen verdaut, das Herz Blut treibt, so sind das alles mechanisch-räumliche Prozesse, die wir als in und an einem materiellen Substrat vor sich gehend widerspruchslos begreifen können, und dasselbe gilt von den physiologischen Vorgängen des Sehens und Hörens, auf die Liebmanns oben S. 39/40 erörtertes Beispiel Bezug nahm. Eine »astronomische« Kenntnis dieser Vorgänge würde doch in ihnen nichts entdecken können, das sie unfähig machte, Bestimmt- heiten eines materiellen Substrats zu sein. Wenn aber das Gehirn denken soll, so liegt die Sache ganz anders. Auch eine »astrono- mische« Kenntnis des Gehirns und aller in ihm sich abspielenden Vor- gänge würde doch nicht das Denken als einen Gehimvorgang, als eine Bestimmtheit desselben zu erkennen vermögen, vielmehr würde gerade die vollendete »mechanische« Kenntnis hier die absolute Unmöglichkeit, Denken und Gehirn als Substanz und Accidens zusammenzudenken, mit absoluter Deutlichkeit offenbaren. Das Denken bildet sowenig einen Bestandteil des Gehirns und seines Mechanismus, als etwa der Ärger, den der Müller über das zu langsam arbeitende Triebwerk seiner Mühle empfindet, einen Bestandteil dieses Triebwerkes selbst bildet Eiweiß, Kali, Phosphor der Himsubstanz haben mit der Logik soviel zu schafTen, als die chemischen Bestandteile und die Gestalt des atlantischen Ozeans mit den Plänen der darauf segelnden Schiffer.^) Eben diese Unmöglichkeit, das Geistige in seiner Eigen- art als Geistiges festzuhalten und zugleich als Bestimmtheit eines materiellen Substrats zu fassen, hat die Materialisten zu dem Ver-
geistigen Folgen.c > Alles was wir als Tätigkeit oder TVirksamkeit der Materie denken können, bringt nicht aus sich selbst das geistige Leben hervor, sondern veranlaßt nur sein Hervortreten durch die Anregung zur Äußerung, die es einem anders ge- arteten Elemente zuführt« (S. 167). Verstehen, könnte man erwidern, kann man die Explosion weder aus der Natur des Funkens noch aus der des Pulvers. Wie es das letztere anfängt, die Explosion hervorzubringen, bleibt immer unbegreiflich. Zugegeben aber, daß die Sache so liegt, daß wir ebenso wie wir zur Erklärung der Explosion das ergänzende Element des Pulvers heranziehen müssen, so auch zur Erklärung des geistigen Lebens, das wir aus den Bewegungen einer Anzahl von Gehirn molekülen nicht ableiten können, ein ergänzendes Element heranzuziehen genötigt sind, so liegt doch der Grund, weshalb dieses ergänzende Element nicht wiedemm von materieller Beschaffenheit sein und das Geistige nicht als das Er- gebnis einer mateheilen Veranlassung und des Reagierens eines materiellen Sub- strates auf dieselbe betrachtet werden kann, schließlich darin, daß es wegen der ünvergleichlichkeit beider nicht möglich ist, das durch ein materielles Substrat hervorgebrachte Geistige schließlich, wie es der Fall sein müßte, zugleich als eine Bestimmtheit dieses Substrats aufzufassen.
1) Liebmann, Analysis d. Wirklichkeit S. 351.
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 47
zweiflungsschritt getrieben, es fiir ein Materielles, einen Stoff oder eine Bewegung auszugeben. Wenn es das ist, kann es freilich Eigen- schaft oder Zustand eines Körpers sein — aber dann hört es eben auf, Geistiges zu sein , und so gerät der Materialist aus der Charybdis, die er vermeiden woUte, in die Scylla, aus der er sich dann wieder in die Charybdis zurückflüchtet. InstabiUs teUus, innabilis unda. An der völligen Unvergleichlichkeit alles körperlichen und geistigen Seins und Oeschehens scheitert mithin sowohl der erste als der zweite Typus des Materialismus.^)
Dabei ist aber das Argument der ünvergleichlichkeit des Phy- sischen und des Psychischen noch nicht einmal die ultima ratio, die man dem Materialismus, um ihn zu widerlegen, entgegenstellen kann. Wenn es versagte, so bliebe noch ein anderes Argument als
1) Rehmke, Psychologie S. 23, 32, die Seele des Menschen 8. 16,22. Ygl. auch James, Principles of Psyohology vol. I., London 1891, S. 146. Ladd, Phil, of Mind S. 297 f. besonders S. 300. Münsterberg will (Grandzüge d. Psychol. I, Lpz. 1900, S. 70, 71) das Eriteriuin der Unräomlichkeit des Psychischen nicht gelten lassen und begründet seinen Widersprach a. a. damit, dafi die Psychologie den ünteischied des Räamlichen and des Nichträamlichen schon an der Schwelle ihrer TJnteisachungen wieder aufhebe. »Die Vorstellungen werden in den Körper, in das Gehirn, in die Ganglienzellen verlegt und wenn aach die Vorstellang selbst uniäomlich bleibt, so gewinnt sie durch die Introjektion doch in demselben Sinne Baomwert, in welchem ihr ein Zeitwert zukommt.« — Aber wenn die Psycho- logie wirklich die Vorstellungen in die Ganglienzellen verlegt, so begeht sie so- zusagen eine psychologische Todsünde. Solche Introjektion ist eben falsch: nicht die Vorstellungen , sondern nur die etwaigen ihnen entsprechenden physiologischen Vor- gänge dürfen in das Gehirn und die Ganglienzellen »verlegt« werden. S. 95 gesteht denn auch M. selbst zu: »Die Akte können nicht im Körper sein, weil sie unräumlich sind. Das von Münsterberg hier verworfene Kriterium dürfte doch erheblich wirk- samer sein, als das von ihm selbst S. 72 (vgl. S. 202) acceptierte, nach welchem psychiscli das ist, was nur einem Subjekt erfaßbar ist, physisch dagegen das, was als mehreren Subjekten gemeinsam erfaßbar gedacht werden kann. Gegen dieses Kriterium würde der Solipsismus alsbald Einspruch erheben und man dürfte, wenn man philosophisch zu Werke gehen will, solchen Einspruch nicht einfach durch ein Appellieren an das »Erleben« abweisen. Aber auch dann, wenn wu* eine Mehr- zahl von Subjekten anzunehmen nicht umhin können, wird doch das Physische von jedem einzelnen Subjekte und nicht bloß von einem »Bewußtsein überhaupt« erfahren; die von M. acceptierte Konsequenz, daß das Physische überhaupt nicht von einem individuellen Bewußtsein erfahren werden könne, ist doch unhaltbar. Wenn aber auch das von ihm angegebene Merkmal wirklich ein Merkmal für die Unterscheidung von Physischem und Psychischem wäre, so würde doch in ihm nicht die Begründung dieser Unterscheidung liegen. S. 246 erkennt übrigens auch M. den unräumlichen Charakter der Vorstellungen »in ihrer Zugehörigkeit zum vorfindenden Bewußtsein« an.
48 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismus.
ein Bollwerk zurück, an dem die Angrifie des Materialismus schliefilicb doch zerschellen müßten. Es ist das von Lotze namentlich wieder- holt, besonders im Mikrokosmus (S. 170f.) in so meisterhafter Weise verwandte Argument der Einheit des Bewußtseins.^) Es läßt sich die Ansicht verteidigen, daß dieses Argument nur einen besonderen Fall des allgemeinen Argumentes der ünvergleichlichkeit von Oeist und Materie bilde. Denn die Einheit unseres Bewußtseins bedeute eben eine jener spezifischen Eigentümlichkeiten, durch welche unser geistiges Wesen sich von allem Körperlichen, dem eine derartige Einheit absolut fremd sei , scharf unterscheide und welche daher eine Entstehung des Geistigen aus körperlichen Vorgängen unmöglich mache. Indes würde doch auch so die Einheit des Bewußtseins ein zu den sonstigen Unterscheidungsmerkmalen des Geistigen und Körper- lichen noch hinzukommendes neues Merkmal bilden, das bedeutsam genug wäre, um als besonderes Argument gegen die materialistische Ansicht angeführt zu werden. Berücksichtigen wir aber, daß die Ein- heit des Bewußtseins eine Leistung bedeutet, welche die Seele nicht immer und nicht stets in gleichem Grade vollzieht, bedenken wir, daß man von unter- und unbewußten psychischen Yoigängen spricht, bei denen mit der Bewußtheit natürlich auch das Merkmal der Ein- heit des Bewußtseins fehlt, so werden wir jedenfalls, wie immer auch eine eingehende Untersuchung über diesen letzten Punkt entscheiden möge, vorderhand gut tun, die Einheit des Bewußtsein als ein selbst- ständiges Argument neben dasjenige der Unvergleichlichkeit physischer und psychischer Vorgänge überhaupt zu stellen.
Es besagt nun, daß die Tatsache, daß wir in jedem Momente unseres wachen geistigen Lebens den mannigfachen und vielgestaltigen Inhalt unseres Bewußtseins auf unser Ich als das einheitliche Subjekt desselben beziehen, uns dessen bewußt sein können, daß wir es sind, die diesen ganzen Inhalt wissen und seine Bestandteile in die mannig- fachsten Beziehungen zu einander setzen: daß diese Tatsache es schlechthin unmöglich macht, das Geistige als das Ergebnis materieller Vorgänge anzusehen. Denn aus einer Vielheit wie immer beschaffener Dinge oder Prozesse läßt sich die Einheit, welche unser einheitliches Bewußtsein darstellt, nun und nimmermehr ableiten. Alles was man
1) Auch Dubois-Reymond erwähnt seiner a. a. 0. S. 42, 78, 79, 80. Ebenso läßt Kant die Einheit des Bewußtseins in gewissem Sinne als Argument gegen den Materialismus gelten. Er. d. r. V. A. 356, 357, 359. B. 419, 420. »Also folgt daraus die Unmöglichkeit einer Erklärung meiner, als bloß denkenden Subjekts, Beschaffen- heit aus Gründen des Mateiialismus.« Frolegg. §§ 46 Erdm. S. 92.
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische AViderlegung. 49
für eine aus einer Vielheit entstandene Einheit ausgegeben hat, ist in Wahrheit keine Einheit, sondern eine, nur zu gemeinsamem Wirken yerbundene, Vielheit, die, um als ein Ganzes gefaßt zu werden, eben jene Einheit des Bewußtseins schon voraussetzt, welche man als das Ergebnis des Zusammenwirkens der Vielheit angesehen wissen wollte. Eine derartige Vielheit zu gemeinsamer Wirksamkeit ver- bundener Dinge ist unser Körper, ist speziell auch unser Nerven- system und unser Gehirn. Ganz unmöglich ist es, daß aus dem In- einanderwirken der Teile des Gehirns das einheitliche Bewußtsein hervorgehen sollte, welches wir als eine charakteristische Leistung unserer Seele, ein durch innere Erfahrung beglaubigtes Faktum kennen. Ich begnüge mich an dieser Stelle damit, die Unvereinbarkeit dieses Faktums mit allen materialistischen Theorien als ein weiteres, die Unmöglichkeit des Materialismus dartuendes Argument kurz vermerkt zu haben. Eine ausführlichere Erörterung dieses Punktes bleibt an späterer Stelle vorbehalten. Denn die Tragweite dieses Argumentes ist eine viel umfassendere als die der übrigen zur Widerlegung des Materialismus benutzten. Seine Spitze richtet sich nicht nur gegen die materialistische, sondern auch gegen die pluralistische Auffassung der Seele, nach welcher sie lediglich eine zu Wechselwirkung und gemeinsamer Wirksamkeit verbundene Vielheit, eine bloße Summe selbständiger psychischer Zustände oder Vorgänge ist
Die Prüfung dieser mit dem psychophysischen Parallelismus aufs engste verknüpften Ansicht wird uns in dem der Kritik des Paralle- lismus gewidmeten Abschnitt nötigen, die Tatsache der Einheit des Bewußtseins ausführlich und eingehend zu erörtern. Ebendarum aber konnte ein kurzer Hinweis auf dieselbe für jetzt genügen.
Die Unvergleichlichkeit alles physischen und psychischen Seins und Geschehens und die Einheit des Bewußtseins: das sind die beiden Gründe, mit denen die Meinung, das Geistige sei ein Produkt der Materie, jederzeit siegreich widerlegt werden kann. Sie sind es, auf denen die Überzeugung von der Selbständigkeit des geistigen gegen- über dem materiellen Sein mit völliger Sicherheit ruhen kann. Ich vermag nicht dasselbe von einer Anzahl anderer Argumente zu sagen, welche von manchen Gegnern des Materialismus zur Widerlegung der Auffassung des Geistigen als eines Ergebnisses materieller Prozesse benutzt, ja wohl als die eigentlich entscheidenden den von mir be- nutzten vorgezogen werden. Sie mögen der Vollständigkeit wegen
Busse, Geist und Körper, Seele und Leib. 4
50 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismtus.
hier noch, wenn auch nur kurze, Erwähnung finden. Ich yersucbe zu zeigen, daß sie entweder die ihnen zugeschriebene Beweiskraft überhaupt nicht besitzen oder nur mit Zuhilfenahme des Gedankens der XJnvergleichlichheit des Physischen und Psychischen zum Ziele gelangen, dieser Oedanke also auch in ihnen als der entscheidende Punkt, auf den alles ankommt, sich bewährt
Paulsen, der in der Unvergleichlichkeit des körperlichen und des geistigen Seins und Oeschehens an und für sich mit Becht noch keinen genügenden Orund erblicken will, die Annahme, daß das Geistige ein Ergebnis materieller Yorgänge sei, abzulehnen, sieht einen solchen dagegen im psychophysischen Parallelismus, den er daher dem Materialismus als die entscheidende Oegeninstanz ent- gegenhält Man muß, fuhrt er S. 83 der »Einleitung« aus, zeigen, daß es keine Formeln geben kann, welche physische und psychische Vor- gänge zo zusammenfassen, wie in den Gesetzen der Mechanik Be- wegungsYorgänge zusammengefaßt sind. Alsdann sei der Materialis- mus definitiv überwunden. Das letztere ist zweifellos richtig, das Mißliche aber an der Sache ist, daß der von Paulsen geforderte Beweis auf Schwierigkeiten stößt Nach dem, was Paulsen selbst über die eigentliche Bedeutung des Begriffs »Erklären« bemerkt hat, ist nämlich nicht einzusehen, warum es nicht Formeln geben sollte, welche physische und psychische Vorgänge in ähnlicher (obwohl natürlich nicht genau derselben) Weise zusammenfassen, wie ver- schiedene Bewegungsvorgänge in den Gesetzen der Mechanik zusammen- gefaßt werden. In der Verschiedenartigkeit von Ursache und Wirkung liegt ja eben an und für sich kein Grund, solche Zusammenfassung für unmöglich zu erklären. Nur wenn die Wahrheit des psycho- physischen Parallelismus unzweifelhaft feststeht, wird durch ihn das andernfalls wohl mögliche kausale Verhältnis von Materie und Geist tatsächlich unmöglich gemacht Wenn es gewiß ist, daß physische und psychische Vorgänge einander parallel gehen, zwei Seiten einer und derselben Sache sind, so kann natürlich das Geistige nicht ein Erzeugnis materieller Vorgänge sein. Aber der psychophysische Parallelismus ist im besten Falle eine Hypothese, für die manches spricht, deren Durchführung aber, wie wir noch sehen werden, keine geringeren Schwierigkeiten entgegenstehen, als dem Materialismus selbst. Sie als höchsten Trumpf gegen den Materialismus auszuspielen erscheint daher wenig ratsam; wäre der Parallelisraus das schwerste Geschütz, das wir gegen ihn auffahren können, so würde es um seine Bekämpfung und Überwindung übel aussehen. Glücklicher-
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 51
weise stehen uns andere, schärfere Waffen gegen ihn zur Verfügung, and wir tun gut, mit ihnen, wie oben geschehen, den Kampf zu führen. Erst wenn dieser Eampf schon zu Ungunsten des Materialismus ent- schieden, die Ansicht, daß das Geistige aus materiellen Vorgängen hervoi^ehe, definitiv überwunden ist, kann die Frage, ob der Paralle- lismus eine annehmbare Hypothese ist oder nicht, erörtert werden. Als Argument gegen den Materialismus kommt er nicht in Betracht Das Oesetz der Erhaltung der Energie wird von anderen, z.B. YonF. A. Lange^^) Eülpe,^) Adickes') und auch TonPaulsen^) gegen den Materialismus angeführt Erzeugt ein physischer Prozeß, z. B. eine Bewegung, einen psychischen Vorgang, z. B. eine Empfin- dung, so geht physische Energie als solche verloren, um durch etwas ganz anders Geartetes, durch ein Psychisches ersetzt zu werden. Das aber bedeutet eine Verletzimg des Gesetzes der Energie. Da also der Materialismus gegen dieses Grundgesetz der Naturwissenhaft verstößt, ist er zu verwerfen. Aber auch das Energiegesetz ist nicht eine apriorische Vemunftwahrheit, sondern eine empirisch und auf induk- tivem Wege begründete Hypothese, über deren Bedeutung und Geltung noch Streit herrscht und auch wenn seine ausnahmslose Geltung im Sinne der Eonstanz der im Weltganzen vorhandenen Enei^e vorbehaltlos anerkannt wird, macht es die Entstehung psy- chischer Vorgänge aus physischen noch nicht unmöglich. Denn es erscheint nicht unmöglich, auch das Psychische als eine besondere, in der konstanten Energiesumme des Weltganzen mit enthaltene Art von Energie anzusehen, deren Auftreten infolge Umwandlung physischer Energie und deren Rückverwandlung in solche nach der Äquivalenzformel des Energieprinzips unter bestimmten Bedingungen erfolgt Daß eine derartige, von Stumpft) vertretene Auffassung mit dem Prinzip der Erhaltung der Energie an und für sich sehr wohl vereinbar ist, hat auch Ebbinghaus^) durchaus zugegeben; daß es selbst mit der mechanistischen Konstruktion aller physischen Vor- gange nicht unvereinbar ist, habe ich im Anschluß daran dargelegt^
1) Gesch. d. Mat 1866 S. 379, W. A. S. 545.
2) Einleitong S. 133.
3) Kant contra Haeckel, S. 32 f.
4) Einl. S. 65.
5) Rede z. Eröffnung des III. intern, psych. Kongresses in München S. 9.
6) Ebbin gh aus, Grnndzüge der Psychologie, Lpz. 1897, S. 32/33.
7) Die Wechselwirkung zw. Leib u. Seele (S. A. aus d. Philos. Abhandlungen
Ch. Sigwart zu s. 70. Geburtstage 28. März 1900 gewidmet), Tübingen 1900, S. 102
Anm. *).
4*
52 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismus.
Wäre es also überhaupt möglich, das Psychische als eine Be- stimmtheit der Materie zu fassen, so würde es eben nicht anders wie Bewegung und Lagerung, eventuell auch Licht, Wärme, Elek- thcität usw. zu den Formen gehören, in welchen die der Materie anhaftende Energie unter besimmten, angebbaren oder nicht angeb- baren, Bedingungen sich darstellt, ohne daß das Gesetz der Erhaltung der Energie dagegen Einspruch erhöbe. Lediglich die auf der völligen Unvergleichlichkeit der beiden Faktoren beruhende Unmöglichkeit, das Psychische überhaupt als eine Funktion oder Bestimmtheit der Materie anzusehen, macht auch die Annahme, daß die Materie die ihr eigentümliche Energie gelegentlich auch in eine psychische Form kleiden könne, unmöglich. Also ist auch hier die Unvergleichlich- keit des Physischen und des Psychischen, nicht aber das Gesetz der Erhaltung der Energie das entscheidende, den Materialismus wider- legende Argument.
In eigentümlicher Weise hat endlich Behmke die Unmöglichkeit des Materialismus darzutun versucht.^) Wo immer, argumentiert er, an einem Dinge ein Zustand auftritt, tritt dieser Zustand an die Stelle eines anderen, mit dem er unter einem gemeinsamen Gattungsbegriff vereinigt werden kann, alle Veränderung bedeutet: Wechsel in der Bestimmtheitsbesonderheit eines Einzelwesens. Dieses Prinzip gilt all- gemein. Nie verschwindet eine besondere Bestimmtheit eines Dinges, ohne daß an ihre Stelle eine andere besondere Bestimmtheit derselben Art träte, und nie kann folglich ein Ding in einen Zustand geraten, der mit allem, was das Ding vorher war, unvergleichlich wäre. Nimmt ein Ding z. B. eine rote Farbe an, so tritt das Bot an die Stelle einer anderen Farbe, etwa Grün, die das Ding vorher hatte und welche mit dem Bot zu demselben Gattungsbegriff der Farbe gehört Ähnlich verhält es sich mit Warm und Kalt Geht ein Ding aus Wärme in Kälte über, so tauscht es eine Temperaturbestimmtheit gegen eine andere aus, und so in allen übrigen Fällen. Nähme nun aber ein Körper, der vorher lediglich räumlich -materielle Bestimmt- heiten hatte, plötzlich die Bestimmtheit Bewußtsein an, so ließe sich diese Bestimmtheit mit keiner anderen ihm zukommenden unter einem gemeinsamen Gattungsbegriff zusammenfassen, wir hätten einen Fall,
1) Lehrbuch d. allg. Psychologie, Hbg. u. Lpz. 1894, S. 32. 33. Außenwelt und Innenwelt, Leib und Seele, Oreifswald 1898, S. 20. Wechselwirkung oder Parallelismus? (in: Fhilos. Abhandl., Gedenkschr. f. ßudolf Haym) Halle 1902, S. 105 f. Die Seele des Menschen (aus Natur und Oeisteswelt, Bd. 36), Leipz. 1902, S. 7f.
Zweites Kapitel. Metaphysisch - psychologische WiderlegoDg. 53
der die obige Begel verletzte. Eben deshalb kann er aber nicht ein- treten und kann in einem Körper als einem materiellen und ausge- dehnten Substrat kein Bewußtsein entstehen.
Es ließe sich nun zunächst bezweifeln, ob das von Rehmke aut- gestellte Prinzip wirklich so allgemein gilt, als er annimmt. In meiner, an seine Oreifswalder Bektoratsrede (1898) anknüpfenden Abhandlung »Leib und Seele« wies ich daraufhin, daß, wenn ein Körper z. B. die geradlinige Bewegung verliert, er deshalb doch noch nicht eine andere besondere Bestimmtheit derselben Art anzunehmen, etwa in eine krummlinige Bewegung zu verfallen brauche! Er könne eben auch überhaupt aufhören sich zu bewegen.^) Ruhe und Bewegung könnten somit als zwei Bestimmtheiten aufgefaßt werden, die nicht verschiedene besondere Bestimmtheiten derselben Art darstellen, ohne daß dieser umstand doch den Körper hindere, bald die eine, bald die andere Bestimmtheit zu haben. So könnte denn ein Körper auch zu einer Zeit die Bestimmtheit Bewußtheit, zu einer anderen Zeit eine andere haben. Rehmke will das nun freilich nicht zugeben. In seiner Ab- handlung »Wechselwirkung oder Parallelismus?« in der Oedenkschnft iür Rudolf Haym, in der er sich mit meinem Einwand auseinander- setzt, wendet er (S. 109f.) ein, daß auch der Übergang eines Körpers aus Bewegung in Ruhe und umgekehrt lediglich die Yeränderung einer Bestimmtheitsbesonderheit bedeute, nur daß es sich hier nicht um eine Bewegungsänderung, sondern um eine Ortsbestimmtheits- veränderung handle. Der gemeinsame Artbegriff der Bestimmt- heiten »Bewegung« und »Ruhe« sei: »Ortsbestimmtheit des Körpers in aufeinanderfolgenden Zeiten«. Bewegung des Körpers heiße: »in aufeinanderfolgenden Augenblicken an verschiedenen Orten sein«, Ruhe aber: »in aufeinanderfolgenden Augenblicken an demselben Orte sein«. — Ich weiß nicht, ob diese Auffassung der Veränderung, die ein Körper erleidet, wenn er aus Bewegung in Ruhe übergeht, recht vereinbar ist mit der Behauptung (S. 105), daß jedes Einzel- wesen eine Einheit von Augenblicks-Einzelwesen im Nachein- ander ist. Aber weder diese Frage noch die andere, ob etwa, wenn ein Körper, der jetzt einen gewissen Geruch hat, diesen verliert und geruchlos wird, sich diese Yeränderung auch als Wechsel von Be- sonderheiten einer allgemeinen Bestimmtheit deuten läßt, möchte ich hier als Einwand gegen die Rehmkesche Yeränderungsauffassung erheben. Zugestanden vielmehr, daß alle Yeränderung sich stets als
1) Leib u. Seele, Zeitschr. f. Phil. n. pbil. Er. Bd. 114 S. 8.
54 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismos.
ein Wechsel in der Bestimmtheitsbesonderheit eines Einzelwesens be- merkbar macht, so fragt sich, ob sich durch dieses Verändenings- gesetz die Unmöglichkeit der materialistischen Behauptung, daß das Bewußtsein eine Bestimmtheit des Körpers sei, beweisen läßt Könnte nicht auch die Bewußtheit eine Bestimmtheitsbesonderheit des Einzel- wesens »menschlicher Körper« sein, der als eine andere Bestimmt- heitsbesonderheit die ünbewußtheit gegenüber stände, während das Psychische den Artbegriff darstellt, welcher Bewußtheit und Ün- bewußtheit als seine Unterarten unter sich hat? In diesem Falle könnte der Körper die Bewußtheit als »intermittierende« Bestimmtheit bald haben, bald nicht haben.
In seiner Besprechung von Jodls Psychologie istEehmke auf diese Möglichkeit eingegangen und hat sie zurückgewiesen.^) In der Form, in welcher das Argument bei Jodl auftritt, ist es auch sicher unhaltbar. Daß das Unbewußte ein Teil des Bewußtseins im weiteren Sinne ist, läßt sich, solange man unter Bewußtheit nicht etwas ganz anderes versteht, als gemeiniglich darunter verstanden wird, gamicht denken. Allein daß das Bewußte und das Unbewußte zwei ver- schiedene Formen des Psychischen bedeuten und das Unbewußte in dem Umfang des Psychischen ungefähr die Rolle spielt, wie Schwarz im Umfang der Farbe, das läßt sich nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Umständliche und sehr subtile Erörterungen sind er- forderlich, um die Unmöglichkeit eines unbewußten Psychischen zu erweisen, und bis jetzt wenigstens haben sie nach meinem Dafürhalten noch nicht den Erfolg gehabt, den ja sicher mit sehr vielen Schwierig- keiten behafteten Hilfsbegriff des unbewußten Psychischeu gänzlich zu vernichten. So wie die Dinge hier zur Zeit liegen, erscheint es mir daher nicht sehr ratsam, die Widerlegung der materialistischen Auf- fassung des Psychischen als einer gelegentlich auftretenden Bestimmt- heit der Materie auf dieses doch immerhin angreifbare Räsonnement zu gründen.
Aber selbst wenn man das unbewußte Psychische nicht gelten läßt, so ist damit noch immer nicht die Unmöglichkeit erwiesen, die Bewußtheit als eine Bestimmtheit des Körpers zu fassen. Zwei Auswege sind noch denkbar. Zunächst dieser, das Bewußtsein als eine dauernde Eigenschaft des (organischen) Körpers zu fassen, die er immer, aber in den verschiedensten Abstufungen oder Intensitäts-
1) Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kritik, Bd. 112, 8. 118—120, vgl. die Seele des Menschen S. 45.
Zweites E[apiteL Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 55
graden hat, ähnlich wie ein Körper auch die Eigenschaft Bot in den verschiedensten Intensitätsstufen yom intensivsten bis zum schwächsten Kolorit haben kann. Wir würden dann zwar kein unbewußtes Psy- chisches mehr haben, wohl aber psychische Vorgänge, deren Be- wußtseinsgrad unendlich klein werden kann: Leibnizens petites per^ cepiians. Allein dieser Ausweg erweist sich in der Tat als unmöglich. Mit Becht macht Behmke geltend, daß wir von dem menschlichen Leibe als einem besonderen Einzelwesen einen durchaus klaren Be- grifT haben können, ohne das Seelische als eine Bestimmtheit desselben mitzudenken, ja daß sogar niemand sich von der Yorstellung des Leibes als eines nichtseelischen Einzelwesens losmachen kann.^) Man wende nicht ein, daß vielleicht nur die ün Vollkommenheit unseres Begriffes des Körpers uns hindere, ihn als einen Bewußtsein habenden zu erkennen, daß ein vollkommener Begriff desselben uns ihn als notwendig mit der Bestimmtheit des Bewußtseins behaftet erkennen lassen würde. Mit zweifelloser Gewißheit erkennen wir viel- mehr, daß die Bestimmtheit »Bewußtheit« dem Körper als solchem nicht zuzukommen braucht, ja sogar nicht zukommen kann, weil sie mit seinem Wesen völlig unvereinbar ist In dieser über das hier Erforderliche hinausgehenden Erkenntnis der Unmöglichkeit, die Bewußtheit wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Körper diesem zuzuschreiben, liegt nun freilich schon ein von dem Behmkeschen Yeränderungsgesetz völlig unabhängiger, dieses überflüssig machender, für sich völlig genügender Grund, den Materialismus als unmöglich abzuweisen. Hat man dieses Argument und seine Tragweite erkannt, so kann man füglich das ganze Behmkesche Yeränderungsgesetz und seine Konsequenzen auf sich beruhen lassen. Ist es unanfechtbar, so kann es doch den durch unser Argument schon vollständig getöteten Materialismus nicht noch toter machen, als er ohnehin schon ist; ist es anfechtbar, so bedeutet diese Anfechtbarkeit zwar tatsächlich keinen Gewinn für den Materialismus, aber es könnte doch der Schein er- weckt werden, als beruhe die ganze Widerlegung des Materialismus aufrecht anfechtbaren Voraussetzungen. Übrigens hat auch Behmke das von mir als entscheidend bezeichnete Argument der Unvergleich- lichkeit physischer und psychischer Vorgänge durchaus benutzt.*)
Der andere Ausweg, der bei Anerkennung des Behmkeschen Veränderungsgesetzes und Verzicht auf das unbewußte Psychische
1) Außenwelt und Innenwelt usw. S. 17.
2) z. B. S. 23 u. 32 seiner Psychologie, Die Seele des Menschen S. 16, 22. *
56 Zweiter Abschnitt Die Widerlegung des Materialismus.
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noch übrig bleibt, besteht darin, daß man die Bewußtheit einem anderen Artbegriff als dem Psychischen unterordnet und sie mit anderen — nichtpsychischen — Bestimmtheitsbesonderheiten des ge- meinschaftlichen Artbegriffs abwechseln läßt Irgend ein gemein- schaftlicher Oberbegriff wird sich ja wohl schließlich in jedem Fall noch finden oder konstatieren lassen: zwei so völlig disparate Reale, daß sie gar keinem erdenklichen Oberbegriff untergeordnet werden könnten, gibt es garnicht Also kann dann auch das Nichtvor- handensein eines gemeinschaftlichen Oberbegriffs nicht der Grund sein, der einen derartigen — aus anderen Oründen tatsächlich vielleicht doch nicht möglichen — Wechsel von Bestimmtheiten unmöglich macht Ebenso allgemein wie die Begel ist auch die Möglichkeit vorhanden, ihr zu genügen. Wenn ein unmittelbar übergeordneter Allgemein- begriff nicht vorhanden ist, nimmt man eben einen entfernteren, man kann sicher sein, zuletzt einen zu finden. Hierfür kann man sich auf Behmke selbst berufen, der bei der Erörterung von seinem Yer- änderungsgesetz von anderer Seite entgegengehaltenen angeblichen Gegeninstanzen selbst für die heterogensten Dinge gemeinschaftliche Oberbegriffe nachzuweisen versteht*)
Auch Farbe, Gestalt und Ortsbestimmtheit, die Behmke für un- verlierbare Bestimmtheiten hält, weil es keine ihnen nebengeordneten Artglieder mehr gebe, können zwar aus anderen Gründen nicht mit- einander, wohl aber mit anderen Dingbestimmtheiten wechseln. Es läßt sich denken, daß ein Ding unter bestimmten Bedingungen für mit der Fähigkeit sinnlicher Wahrnehmung begabte Wesen wahrnehm- bar wird, d. h. in die Erscheinungswelt eintritt, unter anderen Be- dingungen aber wieder aus ihr entschwindet Dann hat es, insofern es erscheint, Ortsbestimmtheit, Gestalt und Farbe, die es aber, wenn es sich in die intelligible Welt zurückzieht, verliert und gegen andere, intelligible Bestimmtheiten austauscht und so ließe sich denn auch denken, daß die Bewußtheit oder Geistigkeit nur eine besondere Be- stimmtheit bedeutet, die gegen andere nebengeordnete und einem gemeinschaftlichen Oberbegriff untergeordnete besondere Bestimmt- heiten eingetauscht werden kann. Diese besonderen Bestimmtheiten wären körperliche oder materielle Bestimmtheiten und der ihnen mit allen geistigen Bestimmtheiten gemeinsame Oberbegriff wäre der des Zustands oder Attributs oder auch der des Seins überhaupt Denn geistiges und körperliches Sein, wie verschieden sie auch im übrigen
1) Wechselwirkung oder Parallelismus? S. 108, 109.
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 57
sein mögen, stimmen doch darin überein, daß sie sind, Arten des Seienden darstellen; die Bestimmtheit der Bewußtheit und die übrigen dem Körper möglichen Bestimmtheiten, so unvergleichbar sie auch im übrigen sein mögen, haben, könnte man sagen, doch dies ge- meinsam, Bestimmtheiten, Modi, Zustände eines Realen zu sein.
Nur in einem Fall wäre diese Möglichkeit ausgeschlossen: wenn nämlich das geistige Sein oder das Bewußtsein nicht eine besondere Art oder Bestimmtheit des Seienden überhaupt, sondern eben das Seiende bedeutet, wenn es ein anderes als geistiges Sein überhaupt nicht gibt, sondern alles Sein = Bewußtsein ist. Alsdann bildet aber nicht das Behmkesche Yeränderungsgesetz, sondern die idealistische Wahrheit, daß alle Bealität Geistigkeit ist, das entscheidende Argument, das den Materialismus unmöglich macht und zugleich den von dem Reh mk eschen Gesetz noch gelassenen Ausweg verschließt. Diese Wahrheit ist aber allein schon genügend, den Materialismus zu wider- legen, das Reh mke sehe Yeränderungsgesetz bedeutet dagegen einen unnötigen, schließlich doch nur unter Zuhilfenahme und Voraus- setzung des idealistischen Argumentes zum Ziele führenden Umweg.
Daß es sich in der Tat so verhält, zeigen uns in sehr klarer und überzeugender Weise die Ausführungen Bergmanns im dritten und vierten Teile des Abschnittes »Seele und Leib« seines Buches: Untersuchungen über Hauptpunkte der Philosophie.^) Nachdem Berg- mann vorher die Voraussetzungen entwickelt hat, deren die »em- pirische« Auffassung der Seele als einer Bestimmtheit des Leibes zu ihrer Durchführung bedarf, zeigt er im vierten Teile, daß die empirische Auffassung metaphysisch doch nicht haltbar ist. Die Möglichkeit, daß ein Ding mehrere objektiv verschiedene Merkmale habe, hängt davon ab, daß diese Merkmale sämtlich einem und demselben Allgemeinen untergeordnet und in Beziehung aufeinander disparat sind (vgl. die Ausführungen S. 340 f.). Auch Eigenschaften, die ein Ding nachein- ander entfaltet, müssen dieser Bedingung genügen. Nun gibt es aber keine allgemeine Eigenschaft, die sowohl in »Bewußt« als in »Körperlich« enthalten wäre, folglich kann es auch kein Ding geben, welches mit der Eigenschaft der Körperlichkeit zugleich diejenige des Bewußtseins vereinigte, und so kann denn das Bewußtsein nicht eine Eigenschaft eines körperlichen Dinges sein. Aber weshalb kann »Be- wußt« und »Körperlich« nicht einem gemeinsamen Allgemeinen, etwa dem Begriff des Seins, untergeordnet werden? Deshalb nicht, sagt
1) S. 362f.
58 Zweiter Abschnitt. Die Widerlegung des Materialismus.
Bergmann, weil Bewußtsein eben das Sein ist imd es ein anderes Sein als Bewußtsein garnicht geben kann. Hier ist also das entscheidende, zur Widerlegung der materialistischen Ansicht benutzte Argument die idealistische Erkenntnis, daß alles Sein Bewußtsein, das Körperliche aber lediglich Erscheinung für ein Bewußtsein ist. Aus ihr ergibt sich sofort, daß das Bewußtsein nicht eine Eigenschaft des Leibes sein kann. Eine Folge des idealistischen, die Unmöglichkeit des Materialismus schon in sich schließenden Standpunktes ist es auch erst, daß »Körperlich« und »Bewußt« nicht unter einen gemeinschaftlichen Oberbegriff gebracht werden können. Dieses Kriteriums bedarf ich also nicht erst, um die Falschheit des Materialismus zu beweisen; ich kann mich seiner in diesem Falle aber nur unter Zuhilfenahme einer Erkenntnis bedienen, welche die Unmöglichkeit dessen, was ich durch es als unmöglich erweisen will, schon in sich schließt und vorwegnimmt Denn daß unabhängig von der Erkenntnis und An- erkenntnis der These des Idealismus das Prinzip: Eigenschaften, die nicht unter einen gemeinschaftlichen Oberbegriff zu bringen sind, können nicht in einem Dinge miteinander vereinigt sein, im gegebenen Falle als "Waffe gegen den Materialismus völlig versagt, gibt Berg- mann durchaus zu: wenn man den Körper für etwas Primär -Wirk- liches hält, kann man den Oberbegriff Sein auf beide, Körper und Geist, anwenden und wird dann durch jenes Prinzip nicht gehindert, das Bewußtsein als eine Eigenschaft des Leibes aufzufassen.
Aber aus anderen Gründen wird man, auch wenn man den Körper für etwas an sich Existierendes hält, diese Auffassung doch unmöglich finden. Jenes Prinzip ist ja schließlich bloß negativ. Was ihm widerspricht, erklärt es für unmöglich; was aber mit ihm über- einstimmt, kann doch aus anderen Gründen unmöglich sein. Diese anderen Gründe sind in unserem Falle vorhanden: die Unvergleich- lichkeit des Physischen und des Psychischen und die Einheit des Bewußtseins machen es unmöglich, das Geistige als eine Eigenschaft eines materiellen Systemes, wie der Leib ein solches darstellt, an- zusehen.
Kann ich aber auch aus den angeführten Gründen mich nicht mit allen von den Gegnern des Materialismus gebrauchten Argumenten einverstanden erklären: in der Hauptsache, der Erkenntnis der Un- möglichkeit der Ansicht, daß das Geistige ein Ergebnis körperlicher Vorgänge sein könne bin ich mit den Männern, die sich ihrer be- dienten, einverstanden, und diese Übereinstimmung hinsichtlich des Resultats ist für mich natürlich sehr viel wichtiger, als die Differenz
Zweites Kapitel. Metaphysisch -psyohologische Widerlegung. 59
hJnsiGhtlich einiger der Wege, es zu erreichen. Irre ich mich in dem, was ich gegen die letzteren geltend gemacht habe, werden die Argu- mente durch das, was ich gegen sie vorgebracht, nicht getroffen, — am so besser. Bestehen aber meine Bedenken zu Recht, so wird doch das Ziel, die Widerlegung der materialistischen These, dadurch nicht gefährdet
3. Oben (S. 13) haben wir noch einen dritten Typus des Materia- lismus unterschieden : das Psychische ist eine Begleiterscheinung des Physischen, mit diesem untrennbar verknüpft In Wahrheit bedeutet nun freilich diese Formulierung des materialistischen Grundgedankens das Aufgeben desselben; da sich die Materialisten aber ihrer bedienen, darf sie hier doch nicht unerwähnt bleiben. Sie fehlt natürlich nicht bei Büchner, bei dem ja alle Formulierungen im schönsten Durch- einander beisammen sind. »Denken und Ausdehnung«, sagt er im Kapitel: Gehirn und Seele, »können daher nur als zwei Seiten oder Erscheinungsweisen eines und desselben einheitlichen Wesens be- trachtet werden.«
Auch Dubois-Beymond spricht sich wiederholt dahin aus, daß die geistigen Vorgänge Begleiterscheinungen der Gehimprozesse sind,^) ohne doch diese Auffassung von der anderen, gleichfalls von ihm vertretenen, daß sie das Ergebnis der Gehirnprozesse seien, genügend zu trennen.
An die Stelle einer eigentlichen Widerlegung tritt nun bei diesem Typus die Belehrung, daß die in ihm enthaltene Behauptung gar nicht mehr materialistisch ist, sondern die parallelistische Auffassung aus- drückt. Daß psychische Vorgänge stets mit physischen verbunden sind, braucht auch, wer auf anderem als materialistischem Standpunkte steht, nicht zu leugnen; daß sie die physischen Vorgänge begleiten, ihnen parallel gehen, behauptet der psychophysische Parallelismus eben im Gegensatz zum Materialismus. Und natürlich liegt die Sache so, daß, wenn die psychischen Prozesse die physischen begleiten, ihnen parallel gehen, sie weder selbst physische Prozesse noch Wirkungen solcher sind, daß also von Materialismus hier gar keine Bede mehr ist In der Form, in der die Materialisten den Parallelismus der geistigen und physischen Vorgänge auffassen, derzufolge die physischen Vorgänge doch die eigentlich realen sind , das physische Geschehen das wirkliche Geschehen bedeutet, während die psychischen als bloße Be-
1) a. a. 0. S. 40, 41, 48/49 (der rekonstraierte Caesar), 8. 69, 89, 100.
60 Zweiter Abschnitt Die WiderlegUDg des MateriaUsmus.
gleiterscheinungen nebenherlaufen, entspricht er freilich auch nicht der wahren parallelistischen Auffassung, welche, wenn nicht dieSuperi- orität des Psychischen, so doch mindestens die volle Oleichberechtigung der Parallelglieder fordert Der in parallelistischer Verkleidung auf- tretende Materialismus entspricht einer mit dem Materialismus koket- tierenden Form des Parallelismus, die mit dem wahren Begriff des- selben ebensowenig vereinbar ist wie dieser Pseudomaterialismus mit dem echten Materialismus. Man kann daher auch sagen, daß der parallelistische Materialismus oder der materialistische Parallelis- mus eine unmögliche Zwischenstufe bedeutet, die man, freilich ver- geblich, zwischen den Materialismus und den Parallelismus noch ein- zuschieben versucht, und auf der alle diejenigen, welche nicht Materialisten heißen möchten, vor einem offenen Bekenntnis des parallelistischen Standpunktes um der Eonsequenzen desselben willen aber auch zurückscheuen, sich ansiedeln, in der törichten Hofl&iung, auf diese Weise dem Entweder — Oder ausweichen zu können. Wir werden später, bei der Darlegung und Prüfung des parallelistischen Standpunktes, auf diese Auffassung näher einzugehen haben: hier ge- nügt der Nachweis, daß sie, wenn nicht echt parallelistisch, so jeden- falls auch nicht wahrhaft materialistisch mehr ist
Damit hätten wir unsere Prüfung des Materialismus beendet Das Ergebnis ist, daß der Materialismus ein in jeder Form, die er an- nehmen mag, unhaltbarer, in sich widerspruchsvoller und unmöglicher Standpunkt ist Daß man die gegen ihn vorgebrachten Argumente mit Erfolg beanstanden könne, steht nicht zu befürchten; eher wird man vielleicht ihre Ausführlichkeit tadeln und verwundert fragen, warum man denn mit einem so unphilosophischen und unwissenschaft- lichen Standpunkte noch so viele Umstände mache. Demgegenüber dürfte aber doch die eindringliche Warnung am Platze sein, den Materialismus nicht als qtuintiU n^gUgeable zu betrachten: solche Sorglosigkeit könnte sich bitter rächen.
Daß sich die Naturwissenschaft zurzeit durchaus ablehnend gegen ihn verhält, verhindert gar nicht, daß sie ihn zu anderen Zeiten einmal wieder auf den Schild erhebt Auch der Yitalismus war schon einmal von der Naturforschung völlig aufgegeben worden, trotzdem gewinnt er wieder Boden. Die Oefahr, daß der Materialismus einmal wieder zur Herrschaft gelange, ist aber sogar größer. Denn als Forschungsprinzip ist er für die Naturwissenschaft tatsächlich unent- behrlich: sie forscht, denkt und erklärt materialistisch. In dem Materialismus als Forschungsmaxime ist aber der Materialismus als
Zweites Kapitel Metaphysisch -psychologische Widerlegung. 61
Weltanschauung latent enthalten; die Möglichkeit, daß er aus einer bloßen Maxime der Forschung eine Weltanschauung werde, ist immer vorhanden. Die Anschauung, aus der er seine größte Kraft schöpft, fordert in verlockender Weise dazu auf, und es bedarf jederzeit großer Besonnenheit und der vollen Aufmerksamkeit auf alle gegen den Materialismus in Betracht kommenden Gründe, um der Verlockung zu widerstehen und sich vor der »seltsamsten« — aber trotzdem gar nicht so seltenen — Verirrung des menschlichen Geistes, welche der Materialismus nach Lotze bedeutet, zu bewahren. Deshalb ist es nützlich, die Argumente, welche diese seltsame Neigung, die den Tod aller wahren Philosophie bedeutet, als Yerirrung erweisen, immer aufs neue zu wiederholen, und daher habe ich Ausführlichkeit in der Dar- legung derselben nicht gescheut Ich schließe diese Betrachtungen mit den schönen, den Materialismus als eine Yerirrung so treffend kenn- zeichnenden Worten Lotz es: »Unter allen Yerirrungen des mensch- lichen Geistes ist diese mir immer als die seltsamste erschienen, daß er dahin kommen konnte, sein eigenes Wesen, welches er allein un- mittelbar erlebt, zu bezweifeln oder es sich als Erzeugnis einer äußeren Natur wieder schenken zu lassen, die ^wir nur aus zweiter Hand, nur durch das vermittelnde Wissen eben des Geistes kennen, den wir leugneten.«^)
1) Mikrokosmus Bd. I. 3. Aufl. S. 296.
Zweiter Teil.
Psychophysische Wechselwirkung
oder
psychophysischer Parallelismus?
Erster Abschnitt
Der psychophysische ParaUelismus.
Müssen wir von dem Materialismus um seines unphilosophischen und widerspruchsvollen Charakters willen absehen, so stehen sich nach dem S. 9 Gesagten hinsichtlich der Frage nach dem Yerhältnis von Leib und Seele noch zwei Standpunkte gegenüber: Der Dualis- mus, welcher neben den rein physischen und den rein psychischen Eausalitätsverhältnissen auch noch psycho-physische Eausalitäts- Verhältnisse zuläßt und annimmt^ und der Parallelismus, welcher, psychophysische Kausalität leugnend, den psychophysischen Zusammen- hang als ein bloßes Nebeneinander, ein Parallelgehen physischer und psychischer Prozesse auffaßt. Dererstere, welcher Geistiges und Körper- liches sich wechselseitig beeinflussen läßt, wird deshalb auch als Lehre von der Wechselwirkung zwischen Geist und Körper oder auch kurz als Wechselwirkungstheorie bezeichnet; auch für den Paralle- lismus oder, in genauerer Ausdrucksweise, den psychophysischen Parallelismus gibt es noch eine Reihe anderer Bezeichnungen, die aber, weil sie speziellere, mit dem Parallelismus verbundene An- schauungen betreffen, hier noch nicht erwähnt zu werden brauchen. Zu dem um diese beiden Standpunkte entbrannten Streit Stellung zu nehmen, ihn womöglich zu entscheiden, bildet, wie schon früher be- merkt, die Hauptaufgabe dieses Buches. Wir wollen daher nunmehr beide einer umfassenden, ihre Behauptungen sowohl wie deren Be- gründungen, Tragweite und Konsequenzen berücksichtigenden kriti-
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismtis. Echte nnd unechte Formen. 63
sehen Prüfung unterziehen, um, Vorteile und Nachteile eines jeden sorgfaltig abwägend, eine Entscheidung zu treffen. Wir beginnen mit dem Parallelismus.
Erstes Kapitel. Die Formen des ParalleliBmns. Echte und unechte Formen.
Der charakteristische Grundgedanke des psjchophysischen Paralle- lismus, welcher allen seineu Schattierungen gemeinsam ist, be- steht, wie nochmals kurz heryorgehoben sein möge, in der Be- hauptung, daß psychische und physische Vorgänge voneinander unabhängig sind in dem Sinne, daß sie nicht auseinander abgeleitet, nicht aufeinander zurückgeführt werden können, und daß sie ein- ander parallelgehen, ohne irgendwie kausal aufeinander einzuwirken. Nun wiederholt sich aber beim psychophysischen Parallelismus der Vorgang, den wir beim Materialismus beobachtet haben: er tritt uns nicht in einer einzigen, abgeschlossenen und eindeutigen Oestalt entgegen, sondern es lassen sich verschiedene Formen oder Typen des Parallelismus unterscheiden, welche, Variationen über dasselbe Thema darstellend, den Orundgedanken desselben in verschiedener Weise zum Ausdruck bringen. Und auch hier gilt, wie beim Materia- lismus, daß nicht alle von den Anhängern des Parallelismus ver- tretenen Formulierungen dem Oeiste des psychophysischen Paralle- lismus konform und mit dem Prinzip desselben vereinbar, und da durchaus nicht alle Vertreter des Parallelismus über diese verschiedenen Formen, ihren Unterschied und ihr Verhältnis zu einander, sowie über ihre Vereinbarkeit mit dem Prinzip des Parallelismus im klaren sind. Wollen wir uns daher ein endgültiges Urteil über Recht und Unrecht des psychophysischen Parallelismus bilden, so werden wir die einzelnen Formen des Parallelismus unterscheiden und an ihnen zunächst immanente Kritik üben, d. h. untersuchen müssen, ob sie mit dem Grundprinzip des Parallelismus vereinbar sind. Die- jenigen Typen, bei denen das nicht der Fall ist, sind dann als un- echte auszuscheiden, so daß die endgültige kritische Entscheidung über den psychophysischen Parallelismus es nur mit den übrigblei- benden echten Repräsentanten desselben zu tun hat.
Die verschiedenen Ausprägungen des psychophysischen Parallel- prinzips unterscheiden sich nach drei Hauptgesichtspunkten vonein- ander, die ich kurz als solche der Modalität, der Quantität und der Qualität bezeichnen möchte.
64 Erater Abschnitt. Der psyohophysische Parallelismus.
Bei 4er Modalität handelt es sich sozusagen um eine Bangfrage, nämlich um die Stellung, welche dem Parallelprinzip in der Bang- ordnung unserer Erkenntnisse zuzuweisen ist Es stehen sich in dieser Beziehung zwei Auffassungen gegenüber, von denen die eine in dem psjchophysischen Parallelismus lediglich eine Maxime der empirischen Forschung, ein regulatives Prinzip erblicken, die endgültige Feststellung des Verhältnisses von Geist und Körper, Seele und Leib aber der Metaphysik überlassen will, die andere dagegen in ihm die endgültige Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von Seele und Leib selbst schon zu besitzen glaubt und daher dem psychophysischen Parallelismus die Bedeutung einer metaphysischen Lehre bezw. einer solchen zuschreibt, welche die Metaphysik bei ihrem Versuche, die Frage nach dem Wesen der Dinge abschließend zu beantworten, un- bedingt respektieren muß.
unter dem Gesichtspunkte der Quantität haben wir den sogen, partiellen und den universellen Parallelismus zu unterscheiden. Der erstere läßt zwar allen psychischen Vorgängen auch physische, aber nicht umgekehrt auch allen physischen Vorgängen psychische Prozesse korrespondieren, sondern beschränkt die psychischen Parallel- glieder auf die Erscheinungen des bewußten tierischen und mensch- lichen Geisteslebens. Der universelle Parallelismus hält dagegen an der durchgängigen Korrespondenz physischer und psychischer Vorgänge fest, läßt also wie jedem psychischen Prozeß einen phy- sischen, so auch jedem physischen Prozeß einen psychischen ent- sprechen und füllt die Lücken der psychischen Beihe durch Zuhilfe- nahme hypothetischer unterbewußter oder unbewußter psychischer Vorgänge aus.
Nach der Qualität endlich unterscheiden wir den materia- listischen, realistisch-monistischen, idealistisch-monisti- schen und dualistischen Parallelismus. Der zuerst genannte ist der Standpunkt der sogen, materialistischen Psychologie. Charakte- ristisch für ihn ist die Leugnung einer der physischen Kausalität auf psychischer Seite entsprechenden psychischen Kausalität. Nur die Glieder der physischen Beihe sind untereinander kausal ver- bunden, zwischen ihren psychischen Begleiterscheinungen dagegen findet keinerlei Kausalitätsverhältnis statt Demnach erscheint die physische Beihe doch als die primäre. Mit ihr allein hat es die wissen- schaftliche, auch die psychologische Forschung zu tun, sie allein be- sitzt sozusagen wissenschaftlichen Wirklichkeitswert Die psychischen Begleiterscheinungen sind Epiphänomene, Schattenbilder der wahrhaft
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismos. Echte und unechte Formen. 65
»wirklichen« physiologischen Vorgänge. Nach der realistisch- monistischen Interpretation des Farallelismus sind dagegen die physischen und psychischen Vorgänge zwei gleich wirkliche oder auch gleich phänomenale, jedenfalls aber gleichen Wirklichkeitswert be- sitzende Seiten eines und desselben Realen, dessen Natur es eben ist, sich immer in diesen beiden einander durchweg entsprechenden Formen darzustellen. Wiederum der idealistisch-monistische Farallelismus schreibt der psychischen Reihe allein wahrhafte Realität zu und macht die Glieder der physischen Reihe zu bloßen Phänomenen, behauptet also einen Parallelismus physischer Erscheinungen und geistiger, realer Vorgänge. Insofern bildet dieser Standpunkt den größten, innerhalb des Parallelismus selbst möglichen Gegensatz zu dem der materialistischen Psychologie. Der dualistische Parallelismus endlich betrachtet die physische und die psychische Reihe als zwei gleich ur- sprüngliche und gleich reale, jederzeit einander entsprechende aber nie einander beeinflussende Faktoren der Wirklichkeit, ohne sie, wie beim monistischen Parallelismus, auf ein einziges identisches Reale zu reduzieren. Die Spaltung der Welt in ein Reich des geistigen und ein solches des körperlichen Geschehens wird hier also als eine ursprüng- liche, definitive und unauf hebbare angesehen, wir haben es auf diesem Standpunkte nicht mit einem provisorischen und vorübergehenden, sondern mit einem metaphysischen und absoluten Dualismus zu tun. Überhaupt sind es unterschiede der metaphysischen Weltanschauung, welche den verschiedenen Fassungen des Parallelprinzips imter dem Oesichtspunkte der Qualität zu Grunde liegen und sie bedingen. Der materialistische Parallelismus neigt, indem er der physischen Reihe größere metaphysische Realität und ihr allein Kausalität zuschreibt, zu einer materialistischen Metaphysik, der realistisch- monistische Parallelismus stellt sich als metaphysische Identitätslehre dar, der idealistisch-monistische Parallelismus repräsentiert eine spiritualistische Metaphysik und der dualistische, wie bemerkt, einen metaphysischen Dualismus. —
Die von uns unter verschiedenen Gesichtspunkten unterschiedenen Standpunkte können nun noch in verschiedener Weise miteinander kombiniert werden. Aber nicht jeder läßt sich mit jedem kombi- nieren, sondern während zwischen einigen eine natürliche Af&nität besteht, schließen sich andere ebenso naturgemäß aus. So besteht zwischen der Auffassung des Parallelprinzips als Maxime empirischer Forschung und dem partiellen Parallelismus eine natürliche Verwandt- schaft Wer aus unüberwindlicher Scheu vor allem, das nur entfernt
Busse I Geist und KOxper, Seele mid Leib. 5
66 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismas.
wie Metaphysik aussiebt, dem Farallelismus keine andere Bedeutung als die einer bloßen Maxime empirischer Forschung zugestehen will, wird auch in Bezug auf den dem Paralleiprinzip einzuräumenden Umfang sich dem vorsichtigen, dasselbe auf die unmittelbarer Be- obachtung zugänglichen psychischen Erscheinungen einschränkenden partiellen Parallelismus anschließen, den universellen Parallelismus aber als metaphysisch ablehnen. Umgekehrt ziehen sich der meta- physische und der universelle Parallelismus gegenseitig an; wer die universelle Ausdehnung des parallelistischen Prinzips behauptet, spricht damit eine metaphysische Behauptung aus.
Der partielle Parallelismus braucht sich nicht mit dem empi- rischen Parallelismus zu identifizieren und braucht sich auch mit keiner der metaphysischen Interpretationen des Parallelprinzips soli- darisch zu erklären. Er wird, wenn er sich mit dem empirischen Parallelismus verbindet, mit den übrigen metaphysischen Typen auch den materialistischen ablehnen; andererseits hat er eine natürliche Neigung, sich die materialistische Auffassung des Parallelprinzips zu eigen zu machen: der partielle Parallelismus führt eigentlich unaus- weichlich zum materialistischen und der materialistische Parallelismus ist eo ipso ein partieller. Wer in dem Parallelismus eine meta- physische Theorie oder doch eine Theorie, die auch von der Meta- physik respektiert werden muß, erblickt, wird sich dagegen in quantita- tiver Hinsicht zum universellen Parallelismus hingezogen fühlen und in Bezug auf die Qualität die Auswahl haben zwischen monistischer, idealistischer und dualistischer Metaphysik, welche alle drei mit der universellen Ausdehnung des Parallelprinzips vereinbar erscheinen. Dagegen wird ein universeller Parallelist schwerlich zugleich den materialistischen Parallelismus vertreten, als welcher mit dem partiellen Parallelismus in einem Afifinitätsverhältnis steht ^)
1) Vgl. zu dieser Einteilung des Parallelismas die Darstellung bei Wen ts eher , Der psychophys. Parallelismus in der Gegenwart, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 116 S. 104—110, £rhardt, die Wechselw. zw. Leib u. Seele S. 16 — 23, sowie: Psycho- phys. Parall. u. erkenntnistheoret Idealismus. Leipzig 1900. (S.-A. aus Zeitsohr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 116), Stumpf, Eröffnungsrede z. TU. int Kongr. f. Psych, in München, 1896, S. 7. Wundt, über psych. Kaus. u. d. Prinzip d. psychophys. Parall. Phil. Studien Bd. X. Mohilewer, Wundts Stellung zum psychophysischen Parallelismus, I.-D., Königsberg 1901, S. 17 — 19. Aars, The parallel relatioB between the souI and the body, Yidensskabsselskabets Skrifter n, Christiania 1898^ sowie meinen Aufsatz: Leib und Seele, S. 2 u. 3 u. S. 10. Ed. v. Hart mann bezeichnet den realistisch -monistischen (sowie den dualistischen) Parallelismus als Koordinationsparalielismus und stellt ihm den Subordinationsparallelismus gegenüber.
Erstes Kapitel. DieForineD des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 67
Indessen schweben alle diese Kombinationsmöglichkeiten und die Gründe, welche hier für, dort gegen eine Kombination zu sprechen scheinen, völlig in der Luft, solange nicht der Anspruch der ein- zelnen Typen, vollgültige Repräsentanten des parallelistischen Grund- gedankens zu sein, geprüft und über Berechtigung oder Nichtbe- rechtigung desselben entschieden worden ist Diese Prüfung wollen wir jetzt vornehmen. Es handelt sich, wie nochmals bemerkt werden möge, vorderhand lediglich um eine immanente Kritik der ver- schiedenen Formen des Farallelismus, also um eine Entscheidung darüber, ob sie mit dem Grundprinzip des Parallelismus vereinbar, dem Geiste des Parallelismus konform sind oder nicht Wir wollen die Prüfung nach der Reihenfolge der Gesichtspunkte vornehmen, nach denen wir den Parallelismus in seine Unterarten eingeteilt haben: der Modalität, Quantität und Qualität
1. Modalitat »Empirischer« und »metaphysischer« Farallelismus.
Wie bereits dargelegt, handelt es sich hier darum, ob der psycho- physische Parallelismus als ein rein empirisches Prinzip, d. h. eine bloJSe »Arbeitshypothese« oder Maxime empirischer Forschung, als ein regulatives Prinzip im Sinne Kants anzusehen ist, das als solches keinerlei Anspruch auf metaphysische Gültigkeit hat, sondern die endgültige Feststellung des Verhältnisses des Geistigen zum Körper- lichen der Metaphysik (sofern und soweit eine solche möglich ist) überläßt, — oder ob er eine darüber hinausgehende allgemeine Be- deutung in Anspruch nehmen darf, ob er selbst eine metaphysische und dogmatische Beantwortung einer metaphysischen Frage ist, mit- hin die definitive Löung des psychophysischen Problems selbst be- deutet Auf den ersteren Standpunkt stellen sich, jeder in besonderer Weise, xl a. Wundt und Münsterberg, während Metaphysiker wie Fechner und Paulsen den Parallelismus als eine metaphysische Lehre bezw. als eine dogmatische Ansicht betrachten, welche für die Ausgestaltung unserer metaphysischen Anschauungen von ausschlag- gebender Bedeutung ist Es erscheint mir nun unzweifelhaft, daß die Auffassung, welche Paulsen und Fechner vom psychophysischen
dessen charakteristische Eigentümlichkeit darin besteht, daß er die eine Reihe als bloße Erscheinung der anderen als der realen unterordnet Er ist je nachdem idealistischer (=3 idealistisch- monistischer) oder materialistischer Subordinationsparallelismus. Den letzteren bezeichnet er wohl auch als physiologischen oder als subordinationsparalle- listischen Materialismus. (Moderne Psychologie, Lpz. 1901, 8. 350, 430 u. a.)
5»
68 Erster Abschnitt Der psychophysisohe Parallelismiis.
Parallelismos haben, die richtigere, ja die einzig mögliche ist Der Farallelismus kann nur in Form einer metaphysischen oder natarphilo- sophischen, d. h. einer dogmatischen Lehre über das Verhältnis des Gei- stigen und Körperlichen vertreten werden. Er muß auf dogmatischen Wahrheits- und Geitungsgrad Anspruch machen, will er sich nicht selbst verleugnen. Jede Herabsetzung des Parallelismus zu einem lediglich methodologischen Prinzip, zu einer bloßen Arbeitshypothese ist mit dem Geist des Parallelismus nicht vereinbar, hebt ihn selbst au£
In einem Sinne freilich kann auch ich der parallelistischen Theorie (ebenso wie der der Wechselwirkung) keinen metaphysi- schen Wahrheitsgehalt zuerkennen. Wer in metaphysischer Hinsicht auf spiritualistischem Boden steht, also die Materie als etwas im meta- physischen Sinne Wirkliches nicht anerkennt, wird natürlich auch kein metaphysisches Verhältnis von Geistigem und Körperlichem, sei es der Wechselwirkung, sei es der bloßen Parallelität, annehmen können. Um die Frage, wie dieses Verhältnis zu denken sei, überhaupt auf- werfen zu können, müssen wir unsere spiritualistische Metaphysik beiseite schieben und dem körperlichen Sein die gleiche Realität zu- schreiben wie dem geistigen. Aber diese Leugnung einer meta- physischen Bedeutung des Parallelismus bedeutet etwas ganz anderes, als die Wund t- Münster b er gsche Reduktion desselben auf ein bloß methodologisches Prinzip, auf eine bloße Arbeitshypothese. Denn hier stehen wir bereits auf einem ganz bestimmten metaphysischen Stand- punkte und urteilen nun von diesem bestimmten Standpunkte aus, daß der Parallelismus als Metaphysik nicht zulässig sei. Wir weisen ihn als eine falsche Metaphysik ab, nicht aber sprechen wir ihm von vornherein jeden metaphysischen Charakter ab. Eine meta- physische Theorie, die sich schließlich als unhaltbar erweist, hört doch darum nicht auf, eine metaphysische , d. h. auf das Gebiet der Meta- physik sich beziehende und dort zu erörternde Theorie zu sein, auch eine falsche Metaphysik ist — Metaphysik. Als eine bloße Arbeits- hypothese hätte dagegen der Parallelismus gar keine Beziehung irgend welcher Art zur Metaphysik. Weder hätte er sich um die Art und Weise, wie die Metaphysik das Wesen des Geistes und des Körpers und ihr gegenseitiges Verhältnis auffaßt, im geringsten zu kümmern, noch brauchte die Metaphysik bei ihren Versuchen, die Natur des Geistes und der körperlichen Dinge und ihre Beziehungen zu einander zu bestimmen , auf ihn irgend welche Rücksicht zu nehmen. Sie hätte vollständig freie Hand, der Parallelismus wäre für die Metaphysik überhaupt nicht vorhanden.
Eistes Kapitel. Die Fonnen des Parallelismüs. Echte und imeohte Formen. 69
Ich yersache nun den Nachweis, daß nur die Ansicht, welche der parallelistischen Theorie eine metaphysische bezw. naturphilo* sophische, d. h. eine für die Metaphysik maßgebende Bedeutung zu- schreibt, wahrhaft parallelistisch ist, die Auffassung des Parallelprinzips als einer bloßen Arbeitshypothese aber einen mit dem Geist des Paralle- lismus nicht vereinbaren Pseudoparallelismus darstellt
Was haben wir eigentlich darunter zu verstehen, daß die paralleli- stische Auffassung eine bloße Arbeitshypothese sei? Soll der Terminus lediglich die Ansicht ausdrücken, daß überhaupt regelmäßige, durch experimentelle Versuche feststellbare Beziehungen zwischen den phy- sischen Vorgängen im Körper und den seelischen Prozessen be- stehen? In diesem Fall haben wir es nicht mehr mit einer paralleli- stischen Ansicht zu tun. Denn über das Vorhandensein solcher Beziehungen sind sich der Parallelismus und die Wechselwirkungs- theorie ganz einig, sie bildet die gemeinschaftliche Voraussetzung, auf deren Boden sie beide stehen. Nur über den Umfang dieses gesetz- lichen psychophysischen Zusammenhanges und über die Art und Weise, wie er aufzufassen ist, ob als ein bloßes Parallelgehen oder als ein kausales Ineinandergreifen der beiden, herrscht Streit^) Soll aber der »empirische« Parallelismus bedeuten, daß man die gesetz- mäßigen Beziehungen zwischen den körperlichen und den seelischen Vorgängen im Sinne eines bloßen Parallelgehens beider auffassen und zugleich diese Auffassung lediglich als eine bloße Maxime der Forschung ansehen will, so müssen wir auch diese Formulierung als mit echtem Parallelismus unvereinbar und überdies in sich selbst widerspruchsvoll zurückweisen. Denn steUt man sich emsüich auf den Standpunkt, die parallelistische These lediglich als eine vor- läufige, der Forschung eine gewisse provisorische Grundlage schaf- fende methodologische Annahme anzusehen, so muß man es kon- sequenterweise völlig dahingestellt sein lassen, ob diese vorläufig gemachte Annahme auch noch bei umfassenderer Prüfung als eine definitive und endgültige beizubehalten ist. Wer auf diesem Stand-
1) Vgl. Wentscher, Über phys. u. psych. Eaus. u. d. Prinzip d. psychophys. ParalL, Lpz. 1896, S. 2. Derselbe, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Kr. Bd. 116, S. 105. Erhard t, die WechselwirkuDg eto. S. 23. Rehmke, Außenwelt and Innenwelt, Leib u. Seele, Oreifswald 1898, S. 24. Mohilewer, a. a. 0. S. 22. Gutberiet, Der Kampf um die Seele, Maiuz 1899, 8. 143 Anm. Hart mann, Mod. Psych., Lpz. 1901, S. 406. H. bemerkt sehr richtig, daß alsdann Parallelität eine »in jeder Hinsicht wenig zutreffende und leicht irreführende Bezeichnung für das gesetzmäßige Yerhältnis der Glieder beider Reihen zu einander c ist.
70 Erster Abschnitt. Der psychophydsche Parallelismus.
punkt steht, muß die Möglichkeit zugeben, daß die definitive Formu- lierung des Verhältnisses von Geistigem und Eörperlichem in anderem als parallelistischen, also etwa auch im Sinne der Wechselwirkungs- theorie zu erfolgen habe.^) Einen solchen Parallelismus würden natür- lich auch die Anhänger der Wechselwirkungslehre ruhig zulassen können, da zwischen ihm und der Wechselwirkungsiehre ja gar kein Gegensatz besteht Eine Anschauung, die gar keinen Anspruch darauf macht, eine wahrhafte oder auch nur wahrscheinliche') Darstellung des wirklichen Verhältnisses psychischer und physischer Vorgänge zu sein, die für sich selbst nur die Bedeutung, eine für die Praxis der Forschung brauchbare Fiktion zu sein, in Anspruch nimmt, ist kein Gegner, den die Wechselwirkungstheorie zu bekämpfen Veranlassung hätte. ^) Sie, die ihrerseits die wahrhafte Auffassung der psychophy- sischen Beziehungen zu vertreten behauptet, würde eben dem »em- pirischen« Parallelisten erwidern: Die Annahme, die als endgültige acceptieren zu müssen auch du für möglich hältst, hat sich mir aus diesen und jenen Gründen als die allein wahre bereits herausgestellt; die Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele muß also, soll sie definitiv beantwortet werden, im Sinne der Wechselwirkungslehre
1) Ihn vertritt z. B. James. Der Parallelismas bedeutet ihm »oertainly only a proYisioDal halting place.« (E^. of Ps. I. S. 182). Er ist aber auch konsequent genug, zuzugestehen, daß »things must some day be more thoroughly thought out« (Ebendaselbst) und daß, wenn man die Dinge gründlicher durchdenkt, die An- nahme einer mit dem Körper in Wechselwirkung stehenden Seele das meiste für sich hat, wird S. 181 und 182 ausdrücklich gesagt. Immerhin ist auch bei James ein gewisses Schwanken zwischen bloß empirisch -provisorischer und definitiver An- nahme des Parallelismus sowie zwischen pluralistischer und substanzialistischer Auf- fassung der Psyche nicht verkennbar. Vgl. darüber Ladd, Ph. of Mind S. 23 — 27.
2) So Heymans, der den Parallel ismus zwar nicht als eine absolute, aber doch als die »höchste zur Zeit erreichbare, der Gesamtheit des Gegebenen am engsten sich anschließende Wahrheit« betrachtet (Zur Parallelismusft*age, Zeitschr. f. Psychol. u. Physich der Sinnesorgane Bd. XYII, S. 84). Heymans kann daher nicht als Vertreter des »empirischen« Parallelismus angesehen werden. Zwischen dem Yorsichtigen Zugeben der Möglichkeit einer Korrektur der zur Zeit die meiste Wahrscheinlichkeit für sich habenden Theorie und der Behauptung, daß, was man Torlege, überhaupt gar keine Theorie, sondern nur ein praktisches Hilfsprinzip der Forschung sein solle, besteht doch ein sehr großer unterschied.
3) Vgl. Rickert, Psychophys. Kausalität u. psychophys. Parallelismus, in: PhiL Abhandlgen., Sigwart gewidmet, Tübingen 1900, S. 65. »Der Paralleiismus in diesem Sinne . . kommt hier für uns gamicht in Betracht, weil er von vorn- herein auf eine Ersetzung der psychophysischen Kausalität verzichten, ja die Frage nach der kausalen Bedingtheit des Psychischen überhaupt zum mindesten offen lassen muß.«
Erstes Kapitel. Die Formen des PArallelismiis. Echte und unechte Formen. 71
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beantwortet werden. Das hindert mich aber nicht, dir zu gestatteii, der Erforschung der psychophsyischen Beziehungen im einzelnen die parallelistische Auffassung als heuristisches oder regulatives Prinzip, als eine praktisch -nützliche und fruchtbare Fiktion zu Grunde zu legen und dein Glück damit zu versuchen. — Damit wäre denn der Streit zwischen dem Parallelismus und der Theorie der Wechselwirkung aufs schönste erledigt, und zwar zu Gunsten der letzteren. Denn in dem so zu Stande gebrachten Kompromiß sind so ziemlich alle Vorteile auf ihrer Seite. Sie wäre die endgültige, dauernd sich behauptende Ansicht, während der Parallelismus bloß geduldet wird als eine untergeordnete, vorläufige, später durch eine vollkommnere zu ersetzende Ansicht, als ein eigentlich nicht ernst zu nehmendes Provisorium, als eine aus prak- tischen Gründen innerhalb gewisser Grenzen zu tolerierende Fiktion. Ein Parallelismus, der sich zu einem derartigen Nichts herunter- drücken läßt oder sich selbst freiwillig mit einer solchen Schein- existenz begnügt, hört aber auf, Parallelismus zu sein. Gebe ich die Möglichkeit, die Wechselwirkungslehre als die wahre und endgültige Auffassung des Verhältnisses von Geist und Körper anzuerkennen, zu, so gebe ich damit den Parallelismus preis. Zum Parallelismus gehört als von ihm nicht abtrennbarer Gedanke die Leugnung der Möglichkeit psychophjsischer Wechselwirkung. Sie gehört zu seinem Wesen, mit ihr steht und fallt er: der Parallelismus muß dogmatisch sein oder garnicht sein. Wie immer auch schließlich an höchster metaphysischer Stelle über das Verhältnis geistiger und körperlicher Wirklichkeit zu einander geurteilt werden möge: der Parallelismus, will er sich nicht aufgeben, wird unter allen umständen dagegen Verwahrung einlegen müssen, daß es im Sinne psychophysischer Wechselwirkung geschehe: die nicht nur vorläufige, sondern definitive und unbedingte Ablehnung der Wechselwirkungslehre ist für den Parallelismus ein conditio sine qua non. Nimmt er nun aber die unbedingte Ablehnung jeder psychophysischen Kausalität in sein Programm auf, so hört er damit auch auf, bloße Arbeits- hypothese, bloß methodologisches Prinzip zu sein, so lehrt er über das Verhältnis des Geistigen zum Körperlichen eine ganz bestimmte Ansicht Aus einem bloß regulativen Prinzip der Forschung wird der Parallelismusgedanke alsdann zu einem dogmatischen, für die Aus- gestaltung unserer metaphysischen Ansichten konstitutiven Prinzip. i)
1) Ygl. Wentscher, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Er. Bd. 116, S. 109. Daß es zwischen Psychischem und Physischem keinerlei Wechselwirkung gehen könne, erklärt
72 Erster Abschnitt Der psyohophysische Parallelismos.
Daß dieser. Fortschritt Yon einem bloß regulativen zu einem konstitutiyen Prinzip nnyermeidlich ist, wenn man den Parailelismus« gedanken wahrhaft festhalten will, und daß die Auffassung des Faralle* lismus als bloßer Arbeitshypothese kein Standpunkt ist, auf dem jemand, dem es mit seinem Parallelismus Ernst ist, stehen bleiben kann, möchte ich noch an zwei konkreten Beispielen darlegen, an Wundt und an Münsterberg. ^) Beide wollen eingestandenermaßen im Paralle- lismus nichts weiter sehen als ein Prinzip empirischer Forschung, Wundt mehr in dem Sinne, daß die Tatsachen es nahe legen und uns nötigen, sie uns an der Hand dieses Prinzips zurechtzulegen, Münsterberg dagegen in dem Sinne, daß erkenntnistheoretische und methodologische Gründe uns yeranlassen, der psychologischen For- schung das Parallelprinzip als eine für die Zwecke derselben unent- behrliche Fiktion zu Grunde zu legen. Eine metaphysische Bedeutung soll ihm aber durchaus nicht zukommen. Beide Forscher aber vermögen es nicht, diesen Standpunkt konsequent festzuhalten. Ein- gestandener- oder uneingestandenermaßen macht sich die von ihnen prinzipiell abgelehnte metaphysisch-dogmatische Bedeutung des Parallel- prinzips doch immer wieder geltend.
S. 601/602 seines »Systems der Philosophie« (2. Aufl., Leipz. 1897) stellt Wundt die Behauptung auf, daß der Parallelismus mit den metaphysischen Annahmen eines Dinges an sich oder einer Substanz mit zwei Attributen nichts zu tun habe, sondern lediglich auf der
er mit Recht fiLr eine »unbestreitbar metaphysische Behaoptnog«. Ebenso macht Aars B. a. 0. 8. 5 geltend, daß es dem Parallelismos gar nicht möglich sei, sich einfach als empirische Theorie, die mit Metaphysik garnichts zu tun habe und von ihr gänzlich unabhängig sei, auszugeben. Denn der Paralielismus sei seinem Wesen nach eine Theorie, welche die empirische Erfahrung der TVechsel Wirkung korrigiert und der Erfahrung zum Trotze lehrt: Keine Wechselwirkung. Vgl. auch Erhard t a. a. 0. S. 22, 23, 132, y. Hartmann, Moderne Psychologie S. 408, 409.
1) Auch Ziehen (Leitfaden der physich Psychologie, 2. Aufl., Jena 1893) will den Parallelismus nur als einen kritischen oder empirischen vertreten (8. 210f.) Jeder Schritt darüberhinaus führe zur Metaphysik, mit der er es nicht zu ton haben will. Er erklärt sogar 8. 213: »So stellt sich also der psychophyische Parallelismus nur als ein scheinbarer heraus.« Die endgültige Entscheidung liegt in den Händen der Metaphysik, sofern es eine solche gibt, und der Erkenntnistheorie. Yon der hiermit Torgezeichneten Stellungnahme weicht aber die Haltung, die Z. in seinem ganzen Buche einnimmt, beträchtlich ab. Er selbst macht erkenntnis- theoretisch-metaphysische YoraussetzuDgen, z.B. die der alleinigen Ürsprünglichkeit der psychischen Reihe (8. 212, 213), und vindiziert, indem er alle Yorgänge des Seelenlebens durch seine parallelistische Associationspsychologie zu erklären unter- nimmt, dieser doch eine weit entschiedenere und allgemeinere Geltung, als er offiziell zugestehen will.
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismos. Echte und unechte Formen. 73
Ton Anfang an Torgenommenen Scheidung des psychologischen und des physiologischen Standpunktes beruhe. Eine solche Scheidung nimmt nun freilich in ihrer Weise auch die Wechselwirkuugstheorie Tor. Wundt fahrt dann fort: »Aus dem, was diese beiden Stand- punkte in ihrer Verbindung ergeben, lassen sich ja möglicherweise metaphysische Folgerungen ziehen, sie selbst sind aber vor aller Meta- physik da.« Und der Metaphysik soll es überlassen bleiben , den ihr Ton der Erfahrung vorgezeichneten Weg einzuschlagen und weiter zu Terfolgen. »Mit einem Wort: das Prinzip des Parallelismus, in dieser Bedeutung genommen, ist selbst kein metaphysisches, sondern ein empirisches Prinzip.«
Hiemach erscheint nun die parallelistische Hypothese als eine solche, die zwar selbst noch nicht metaphysisch ist, aber doch für die endgültige Auffassung, welche die Metaphysik sich von dem Ver- hältnis des Geistigen und Körperlichen zu bilden hat, von grund- legender und maßgebender Bedeutung ist Der Metaphysik bleibt zwar die endgültige Formulierung des Verhältnisses überlassen, aber sie ist doch in Bezug auf die Art derselben nicht mehr frei, sondern an das Parallelprinzip gebunden. Demnach verträte Wundt den Farallelismus in dogmatischer Form. Ähnlich lauten noch andere Äußerungen desselben Forschers. »Die heutige Psychologie«, heißt es in den »Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele«, (3. Aufl.) S. 2, »will nun weder der Philosophie ihr Recht zur Beschäftigung mit jener Frage entziehen, noch kann sie den engen Zusammenhang der psychologischen mit den philosophischen Aufgaben bestreiten.« Sie lehnt aber, im Gegensatz zu der Psychologie früherer Tage, jede Abhängigkeit der psychologischen Forschung von im voraus gefaßten metaphysischen Anschauungen ab.
An anderen Stellen seiner Werke spricht sich Wundt aber anders aus und will die parallelistische Theorie lediglich als eine Arbeits- hypothese angesehen wissen. Die Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele soll der Parallelismus als empirischer vollständig offen und ihre Lösung der Philosophie überlassen. »Wie die Beziehung zwischen Physischem und Psychischem im letzten Grunde metaphy- sisch zu denken sei, läßt er (der empirische ParalJelismus) ganz und gar dahingestellt als eine Frage, die an sich nicht zur Aufgabe der Psychologie gehört«^) Der Wechsel vvirkungstheorie wirft Wundt vor, daß sie der empirischen Tatsache der gesetzmäßigen Beziehungen
1) YorlesuDgen über die Menschen- und Tierseele, 3. Aufl. S. 508.
74 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.
geistiger und körperlicher Vorgänge in dem Prinzip der psychophy- sischen Kausalität noch eine metaphysische Annahme hinzufüge, während der empirische Parallelismus als bloß empirisches Postulat das nicht tue.i) Er stellt einen vorübergehenden Hilfebegriff der empirischen Psychologie dar, eine vorübergehend festzuhaltende empirische Hilfs- hypothese.
Wenn nun der Parallelismus es »ganz und gar dahingestellt sein« läßt, wie die Beziehung zwischen Leib und Seele im letzten Grunde metaphysisch zu denken ist, so muß er es auch dahingestellt sein lassen, ob sie nicht am Ende im Sinne psychophysischer Wechsel- wirkung zu denken ist Das aber ist Wund ts Meinung doch nicht; die Theorie psychophysischer Wechselwirkung will er unter gar keinen Umständen gelten lassen; der Parallelismus, der die Frage nach der endgültigen Fassung des Yerhältnisses von Leib und Seele offen läßt, schließt diese Auffassung dennoch schlechterdings aus. Den regel- mäßigen Zusammenhang zwischen psychischen und physischen Yor- gängen deutet er als ein Parallelgehen zweier nicht direkt inein- ander eingreifenden Kausalreihen.') Damit hat der »empirische« Parallelismus Wund ts aber aufgehört, ein bloß vorläufiges, in Bezug auf die endgültige Formulierung des Yerhältnisses von Leib und Seele garnichts präjudizierendes »empirisches« Prinzip zu sein; er ist aus einem solchen zu einem dogmatischen Lehrsatz geworden. Mit der Leugnung psychophysischer Wechselwirkung fugt er zu den em- pirischen Tatsachen eine — wenn auch nur negative — metaphysische Annahme hinzu.') und nicht nur metaphysische Tragweite besitzt somit das »empirische« Prinzip des Parallelismus; es beruht auch selbst auf metaphysischen, jedenfalls nicht empirischen Annahmen. Seite 598 des Systems der Philosophie erfahren wir, daß es das Prinzip des lückenlosen physischen Kausalzusammenhanges ist, aus dem das Prinzip des Parallelismus zunächst hervorgeht Daher lassen sich denn auch die sich wechselseitig bedingenden psychischen und physischen Yeränderungen niemals in einen ähnlichen Zusammen- hang miteinander bringen, wie er für die physischen Yorgänge nach den für sie gültigen Prinzipien der N^aturkausalität und zugleich auch für die psychischen, einen unmittelbaren Zusammenhang bildenden Yorgänge nach den Prinzipien psychischer Kausalität besteht Das
1) Philos. Studien Bd. X, 8. 35.
2) Yorlesungen 8. 504.
3) Vgl. Mohilewer a. a. 0. S. 26.
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 75
Prinzip der geschlossenen Naturkausalität ist natürlich auch nach Wnndt nicht nur ein problematisches und vorläufiges Prinzip, eine bloße Arbeitshypothese, sondern eine Annahme, an der keine Meta- physik auch nur zu rüttein wagen darf. Beruht nun der Parallelismus auf diesem Prinzip, ist er seine notwendige Folge, so darf und muß er einen höheren Geltungswert auch für sich in Anspruch nehmen, als den eines bloß heuristischen und provisorischen Prinzips, einer aus praktischen Gründen empfehlenswerten Fiktion.
Hiemach ist es nun nicht mehr weiter verwunderlich, daß sich das ursprüngliche Yerhältnis, wonach der Parallelismus ein mit Metaphysik gar nichts zu tun habendes bloß »empirisches« Prinzip der Forschung, die Wechselwirkung aber eine metaphysische Doktrin ist, über deren Möglichkeit oder Unmöglichkeit die Metaphysik mit meta- physischen Mitteln zu entscheiden hat: daß sich dieses ursprüngliche Verhältnis für Wundt schließlich vollständig umkehrt und die voll- ständige Durchführung des Paralielprinzips in seiner Reinheit eine An- gelegenheit der Metaphysik, die Hypothese psychophysischer Wechsel- wirkung aber eine empirische und nur auf empirischem Standpunkt zulässige vorläufige Annahme bedeutet. Man höre: »Hier ist die Psychologie, die als empirische Wissenschaft die Gegenüberstellung von Natur und Geist anzuerkennen hat, genötigt, einen Übergang phy- sischer in psychische Eausalverbindungen anzunehmen, indem sie die Entwicklung solcher Voraussetzungen, welche den mit den Grund- prinzipien unseres Erkennens unvereinbaren Begriff einer psycho- physischien Wechselwirkung beseitigen, der Metaphysik überläßt«*) »Wo für den derzeitigen Stand unserer Erkenntnisse der Kausalnexus auf der einen der beiden Seiten unterbrochen er- scheint«, ist man berechtigt, :&auf der anderen Seite ihn aufzunehmen und weiter zu führen, also psychische Vorgänge durch physische Zwischenglieder oder auch physische Vorgänge durch psychische zu verbinden«.^) Aber »nur als Aushilfen sind also derartige Übergänge vom physiologischen auf das psychologische Gebiet gestattet, niemals aber können sie selbst an die Stelle der endgültigen kausalen Er- klärung treten«.*) S. 562 des »Systems d. Ph.« erklärt er das Prinzip, alle psychischen Vorgänge auf psychische Ursachen, die den uns allein bekannten physischen Ursachen zu koordinieren sind, zurückzuführen.
1) System S. 300/301.
2) Ebendaselbst S. 380.
3) Ebendaselbst S. 381.
76 Erster Abschnitt Der psychophysische Farallelismus.
für ganz und gar metaphysisch. Darauf könne ja möglicherweise die Philosophie »nach sorgsamer Prüfung der Ton der Psychologie auf der einen, von der Physiologie auf der anderen Seite ermittelten Tat- sachen« zurückkommen, nimmermehr aber dürfe die Psychologie, »so- lange sie eine empirische Wissenschaft sein will«, es zur Grundlage ihrer Auffassung der Tatsachen machen. Hier müssen wir daran festhalten, die physiologischen Vorgänge als Bedingungen der psychologischen an- zusehen. »Wie unsere physische Organisation durch die Einrichtungen der äußeren Sinnesapparate und ihre Verbindungen mit dem Gehirn die Bedingungen zur Bildung neuer Bewußtseinsvorgänge bietet, so enthält sie nicht minder in jenen Eigenschaften der zentralen Gebilde, die schon auf Grund der physiologischen Übungserscheinungen an- zunehmen sind, die Bedingungen zur Wiedererneuerung früherer Vor- gänge, mögen diese nun Vorstellungen oder Affekte und Willens- handlungen sein.«
Damit ist die den Parallelismus einschließende, die psychophy- sische Wechselwirkung aber ausschließende kausale Erklärung als die endgültige ausdrücklich proklamiert, ihr also dogmatische Geltung vindiziert^)
Eigenartig, auf den ersten Blick sogar verführerisch ist sodann der Standpunkt, den Hugo Münsterberg in seinen in Leipzig 1900 erschienenen »Grundzügen der Psychologie« I. Abt einnimmt Durch die Ausführungen dieses Buches werden die in den früheren Schriften enthaltenen Ansichten des Verfassers in sehr bemerkenswerter Weise ergänzt und vervollständigt, sodaß man, wenn man Münsterbergs psychologischen Standpunkt in seinem ganzen Zusammenhange er- kennen und beurteilen will, auch dieses Buch zu Grunde legen muß. Mehr noch wie aus seinen früheren Schriften erkennen wir aus diesem Werke, daß Münsterbergs Auffassung der Seele als eines bloßen Mechanismus gesetzmäßig zusammenhängender psychischer Elementar- vorgänge doch noch nicht das letzte Wort ist, das er als Philosoph über die Seele und ihre Wirksamkeit zu sagen hat Die wissen- schaftlich-psychologische Erforschung der seelischen Vorgänge, erfahren
1) Vgl. Gutberiet, a. a. 0. S. 147. Wie Wundt will auch E. König den Parallelismus nur als empirischen gelten lassen (Zeitschr. f. Ph. u. ph. Er. Bd. 115 S. 167, 169, Bd. 119, S. 138; als metaphysische Theorie erklärt er ihn sogar für unhaltbar (Bd. 119, S. 23). Er gesteht aber zu, daß durch das parallelistische Postulat der Spielraum der zulässigen metaphysischen Hypothesen beschränkt werde (Bd. 119 S. 139).
Erstes Kapitel« Die Formen des Parallelismas. Echte und unechte Formen. 77
wir yielmehr, läßt uns die wirkliche Besohaffenheit des geistigen Lebens gar nicht erkennen. Der wirkliche Träger des psychischen Geschehens, das »stellungnehmende Subjekt«, wie Münsterberg es nennt, ist der wissenschaftlich -psychologischen Erkenntnis und ihren Methoden gar nicht zugänglich. In der Wirklichkeit, in die wir handelnd ein- greifen und welche auf uns einwirkt, sind wir wollende und fühlende, einheitliche und freie, sittliche Werte setzende und realisierende Per- sönlichkeiten; dieses unser wahres geistiges Wesen wird von uns un- mittelbar erlebt und verstanden. Wollen wir das, was wir unser Ich nennen, aber wissenschaftlich erkennen, so müssen wir uns erst eine Auffassung von ihm bilden, die es geeignet macht, Objekt wissen- schaftlicher Bearbeitung und Erkenntnis zu sein. Wir müssen unser Ich objektivieren. Dem unmittelbar erlebten und verstandenen »stellungnehmenden« Subjekt substituieren wir das psychologische Subjekt, d.i. eine Vielheit psychischer Elemente, welche, gesetzmäßig untereinander zusammenhängend, einen dem Mechanismus der körper- lichen Yorgänge parallelgehenden psychischen Mechanismus bilden; an die Stelle des unmittelbaren Erlebens und Yerstehens tritt die wissenschaftlich -psychologische Erkenntnis mit ihren Methoden und Hilfemitteln, ihren Analysen und Konstruktionen.
Erkenntnistheoretische Erwägungen sind es also, auf denen die methodische psychologische Forschung^ auf denen die Psychologie als Wissenschaft beruht Das lebendige, fühlende und wollende, handelnde und forschende Subjekt selbst ist es, das, um Psycho- logie als zergliedernde und beschreibende Wissenschaft treiben zu können, aus eigenem freien Entschluß die mechanistisch -pluralistische Auffassung der Seele und den mit dieser verbundenen psycho- physischen Parallelismus sich zu eigen macht. Diese ganze Auf- fassung ist mithin nicht etwa das Ergebnis empirischer Beobachtung wirklicher Tatsachen, sondern lediglich eine durch logisch- methodo- logische Bücksichten geforderte künstliche und willkürliche Hypothese, eine bloße erkenntnistheoretische Fiktion. Münsterberg läßt uns nicht im geringsten im Zweifel darüber, daß die psychologische Theorie, welche nach seiner Ansicht die Grundlage der wissenschaft- lichen Psychologie zu bilden hat und mit welcher der psychophysische Parallelismus untrennbar verknüpft ist, gar keinen Anspruch erheben kann, die wirkliche Natur des Oeistes wiederzugeben, sondern eine aus methodologischen Gründen notwendige, im übrigen aber ebenso willkürliche wie imaginäre Konstruktion bedeutet. Der Psychologe, sagt er S. 37 ausdrücklich, habe es mit einer unwirklichen Kon-
78 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismus.
struktion zu tun. Die Aufgabe der Psychologie kann ich nur lösen, »wenn ichc, wie es an einer anderen Stelle heißt, »dem wirklichen Ich die psychophysische Persönlichkeit substituiere . . . kurz, die Wirklichkeit absichtlich beiseite schiebe« (S. 50). »Unser freie Wille entscheidet, daß wir die ursprünglich als Willensmoüv er- lebte Wirklichkeit in ein Uniyersum verwandeln, in dem wir selbst nur ein winziger unfreier Teil und unser Wille ein notwendig ab- laufender Torgang ist« (S. 56). Wenn wir das aber tun, wenn wir das Objekt wissenschaftlich zergliedern, es gleichsam in Atome zer- legen, so lernen wir nicht etwa es selbst besser erkennen, sondern wir schaffen eine neue — aber nur gedankenmäßige — Wirklichkeit (S.57). Unser Verfahren bedeutet, an den letzten Erkenntniszielen ge- messen, einen Bückschritt: wir entfernen uns von der Wirklichkeit (8. 58). »Das vom Subjekt losgelöste Objekt, mit dem es die be- schreibenden und erklärenden Wissenschaften zu tun haben, ist ein Unwirkliches« (ebendaselbst), »der Standpunkt der Psychologie ist eben ein künstlicher und wirklichkeitsfremder« (S. 206). Auch die Verbindungen , die wir hier herstellen , sind unwirklich (S. 383). S. 486 bezeichnet Münsterberg die Frage der Psychologie nach dem Kausal- zusammenhänge des Psychischen sogar als eine unnatürliche (vgl. auch S. 487), die denn auch eine ebenso unnatürliche Antwort er- heischt. »Wenn der psychSphysische Parallelismus uns glauben macht, daß die Vorstellungen von gewissen chemischen Vorgängen in Eörper- zellen abhängen, oder daß vielleicht die Empfindungen in gewissen feinsten Fibrillen sitzen, so stehen wir eben vor Verbindungen, die für relativ künstliche Zwecke logisch ersonnen sind und in das ideale abschließende System der Erkenntnis nicht hineingehören würden; es ist die provisorische Antwort auf die provisorischen Fragen einer provisorischen Wissenschaft, die wir freilich für praktisch unbegrenzte Zeit nicht werden entbehren können« (vgl. auch S. 492). Unter diesen Umständen ist es ganz konsequent, wenn Münsterberg S. 416 die Möglichkeit zugibt, daß auch eine spiritistische Ansicht, welche die psychischen Objekte etwa den Ätheratomen zuordnet, den logischen Forderungen der psychologischen Theorie werde gerecht werden können.i)
Das also ist die Sachlage. Die ganze »wissenschaftliche« Psycho- logie hat es mit einem Phantom zu tun ; sie ist eine bloße Methode ohne wirklich reales Objekt Es ist nun nicht unseres Amts, an dieser Stelle
1) Ähnlich Ziehen, Leitfaden der physiol. Psychologie S. 210 — 213.
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 79
die erkenntnistheoretiscben Yoraussetzungen, die Münsterbergs An- sicht vom Wesen und der Aufgabe der Psychologie als Wissenschaft zu Grunde liegen, auf ihre Richtigkeit hin zu untersuchen. Mag hier immerhin sich alles so verhalten, wie Münsterberg annimmt, und mag das Problem der Psychologie, wie es sich für ihn ergibt, ein wenngleich unnatürliches und eigentlich unwirkliches, doch erkenntnis- thoretisch völlig gerechtfertigtes sein: so bleibt es doch dabei, daß alles was eine derartige Psychologie über die Seele und ihr Verhältnis zum Körper festsetzt, einen durchaus provisorischen Charakter hat und eine nur vorläufige, von ganz bestimmten künstlichen Yoraus- setzungen abhängige, mit hundert Wenns und Abers zu versehende Geltung besitzt Sagt doch Münsterberg selbst, daß der psycho- physische Parallelismus als eine für relativ künstliche Zwecke er- sonnene Theorie in das ideale abschließende System der Erkenntnis gar nicht hineingebort Mit einer derartigen künstlichen Theorie, er- sonnen zur Bearbeitung eines ebenso künstlich hergestellten Ob- jekts — es erinnert das doch wirklich etwas an die bekannte Definition der Philosophie: sie sei der systematische Mißbrauch einer eigens zu diesem Zwecke erfundenen Terminologie — brauchen wir uns aber, werden wir weiter sagen, in der Philosophie überhaupt nicht zu befassen. Ist der psychophysische Parallelismus nur die pro- visorische Antwort auf die provisorischen Fragen einer provisorischen Wissenschaft,, so können wir ihn auf sich beruhen lassen: die end- gültige Beantwortung der Frage nach dem Yerhältnis von Leib und Seele hat dann die allgemeine Philosophie ohne jede Bücksicht darauf, ob dieselbe mit dem durch das besondere Interesse der künstlichen Psychologie geforderten provisorischen Parallelismus übereinstimmt oder nicht, zu unternehmen. Gesetzt nun, die Antwort wäre erfolgt und aus allgemeinen philosophischen Gründen wäre das Yerhältnis der Seele zum Leibe im Sinne psychophysischer Wechselwirkung end- gültig bestimmt, so dürfte alsdann der psychophysische Parallelismus, eingedenk seines bloß provisorischen Charakters, gegen solche Ent- scheidung keinerlei Einwendungen mehr machen, sondern wäre ver- pflichtet, dieselbe als zu Rechte bestehend ein für allemal anzuer- kennen. Ja er müßte, wenn es ihm mit seinem provisorischen Charakter wirklich Ernst ist, jetzt, da die definitive Lösung der Frage gelungen ist, nunmehr freiwillig zu Gunsten der Lehre von der Wechselwirkung abdanken. Und glaubt man wirklich aus Zweck- mäßigkeitsrücksichten für die Praxis der Forschung die Fiktion fest- halten zu müssen, als ob ein Parallelismus psychischer und physischer
80 Erster Abschnitt. Der psyohophysische Farallelismos.
Prozesse bestehe, so wird auch dieses Zugeständnis an den Vorbehalt zu knüpfen sein, daß überall, wo die Umstände es irgend gestatten, die wahre und definitive Auffassung der Dinge an die Stelle der bloß imaginären und provisorischen zu treten habe. Denn das letzte Ziel aller wissenschaftlichen, jedenfalls aller philosophischen Er- kenntnis ist doch stets, die Dinge zu erkennen, wie sie wirklich sind, nicht aber, eine künstliche und bewußt unwahre Konstruktion von ihnen zu geben.
Es fehlt nun bei Münsterberg nicht an Stellen, an denen er diese aus dem provisorischen und fiktiven Charakter der von ihm vertretenen psychologischen und psychophysischen Auffassung sich ergebende Eonsequenz auch zieht Nach S. 547 soll die psychologische Rekonstruktion sich der Wirklichkeit mehr und mehr nähern und um so wahrer werden, je mehr sie das tut Er hält es sogar für denkbar, daß der Fortschritt unserer empirischen Erkenntnisse auf physio- logischem Gebiet zu einer Umwandlung unserer psychophysischen Anschauungen, ja zu einer vollständigen Elimination der von ihm selbst befürworteten Psychologie führt (S. 486). Alsdann hätten vrir nur noch Physiologie einerseits und die geistige Wirklichkeit, wie sie von uns unmittelbar erlebt und verstanden wird — nicht wie sie von der Münsterbergschen Psychologie künstlich konstruiert wird — andererseits, und es bliebe uns nur übrig, diese unmittelbar bekannte geistige Wirklichkeit philosophisch ihrem Wesen nach zu erfassen und zu den Tatsachen der Physiologie in Beziehung zu setzen. Ob man eine derartige philosophische und »subjektivierende« Psycho- logie als »wissenschaftliche« will gelten lassen oder nicht, ist ziemlich gleichgültig: auf den Namen kommt garnichts, auf die Sache dies an und eine »unwissenschaftliche« Psychologie und Metaphysik, welche die Dinge schildern, wie sie in Wahrheit sind, sind unter allen Um- ständen mehr wert, wie eine noch so »wissenschaftliche« Psychologie, welche die Dinge in einer Weise konstruiert, wie sie in Wahrheit nicht sind.i)
Aber bei dieser Auffassung, welche zu der als metaphysische oder naturphilosophische Theorie geltend gemachten Lehre psychophy-
1) Übrigens bleibt der Begriff der »Wissenschaft« bei Münsterberg doch auch im unklaren. Wählend eioeraeits die »Wissenschaft« erst dann beginnt, »sobald alle Wirklichkeit objektiviert« ist, heiBt es bald darauf: »Es muß Er- fahrungswissenschaften geben, die dem Objekt in seiner ursprünglichen Ab- hängigkeit Yom erkenntnistheorischen Subjekt gerecht zu werden suchen, sub- jektivierende Wissenschaften neben den objektivierenden« (S. 35).
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 81
Bischer Wechselwirkung in gar keinem Gegensätze steht, bleibt auch Münsterberg nicht stehen. Er verbindet mit derselben Ansichten, die mit ihrem offiziellen provisorischen Charakter nicht vereinbar sind und sie tatsächlich zu einer dogmatischen naturphilosophischen Lehre machen. Er fordert und behauptet nämlich von seiner Methode, daß sie sich ausnahmslos auf dem ganzen Gebiet der Psychologie durchführen lasse, daß alle Erscheinungen des seelischen Lebens sich in ihr Schema einfügen, sich durch sie erklären lassen (S. 438 u. a.). Und zwar soll gerade der Umstand, daß der Parallelismus nicht auf Beobachtung der Tatsachen der Erfahrung beruht, sondern als Postulat auftritt, uns berechtigen, ihm eine ausnahmslose Geltung zuzuschreiben. >Die Parallelismustheorie hat nur dann Sinn und Wert, wenn sie als Postulat auftritt, nicht als Entdeckung bestehender Naturtatsachen« <S. 345). Wäre der Parallelismus »nur eine empirische Verallge- meinerung von Laboratoriumsexperimenten und klinischen Erfahrungen, so würde die Begrenzung der Theorie selbst der empirischen Unter- suchung zufallen und die Anerkennung der verschiedenen Ausnahmen würde den Sinn der Theorie nicht beeinträchtigen.« So aber als Postulat braucht sie keine Ausnahme als möglich zuzugeben. Daher erklärt Münsterberg ganz offen (S. 484): »Wer die Theorie als gültig voraussetzt, tritt nun an die einzelnen Tatsachen natürlich nicht mit der Frage heran, ob sie für oder gegen den Parallelismus sprechen, sondern lediglich mit der Frage, ob sich der tatsächlich vorhandene ^d. h. vorausgesetzte!) Parallelismus für den besonderen Tatsachenkreis im einzelnen nachweisen läßt.« D. h. er läßt sich durch keine Gegen- instanzen von der einmal als gültig vorausgesetzten Theorie ab- bringen. Ganz richtig bemerkt solcher Zumutung gegenüber Wundt (Phil. Studien X. S. 33), daß es sich hier nicht mehr um eine unbe- fangene Untersuchung der Tatsachen, sondern um eine Konstruktion derselben nach der angenommenen Methode handle. »Demnach ist diese Methodenlehre im wesentlichen nur eine Anweisung, wie man verfahren müsse, um die a priori aufgestellten Forderungen in jedem einzelnen Falle bestätigt zu finden.«
Nun aber ist diese Handhabung der Voraussetzung nicht minder willkürlich als die Voraussetzung selbst. Eine derartige willkürlicihe Infallibilitätserklärung einer eingestandenermaßen willkürlichen An- nahme kann doch nicht als wissenschaftlich gelten. In der Wissen- schaft können nur logische Eonsequenz und Erfahrung Geltung be- anspruchen, nicht aber Willkür und Inkonsequenz. Eine Theorie, die «ine bloß provisorische Geltung beansprucht und beanspruchen kann,
Busse, Oeist und KOrper, Soele tind Leib. 6
82 Erster Absohnitt. Der psychophysische Parallelismus.
müßte es konsequenterweise auch völlig dahingestellt sein lassen, wie weit sie sich wird durchführen lassen, und dürfte die Möglichkeit, gegebenenfalls einer anderen Auffassung Platz zu machen, keineswegs a limine abweisen. In diesem besonderen Falle liegt die Sache sogar so, daß die Forderung, alle Erscheinungen des seelischen Lebens durch die von Münsterberg befürwortete psychologische Theorie zu erklären, sich gegen die Voraussetzungen, auf welchen die Theorie beruht, selbst wendet und diese — oder die Voraussetzung die aus- führliche Durchfuhrung der Theorie — unmöglich macht, daß also zwischen den Annahmen, welche der Theorie zu Orunde liegen, und der universellen Geltung derselben ein unlösbarer Widerspruch besteht Das »wirkliche«, freie, sich als frei fühlende und seiner selbst un- mittelbar bewußte Subjekt, das durch seinen freien Entschluß ja das künstliche Objekt der wissenschaftlichen Psychologie und die künstb'che Methode seiner Bearbeitung erst schafft: das kann doch nicht wieder zu dem Ereis der dieser Methode zugänglichen und durch sie er- klärbaren Ot^jekte gehören; wenn nicht schon früher, so muß hier schließlich die Grenze der Anwendung der psychologischen Methode erreicht sein. Aber das will Münsterberg nicht gelten lassen. Auch das »stellungnehmende« Subjekt selbst samt seinem unmittelbaren Fühlen und seinem freien Tun, das Wollen und Hervorbringen der psychologischen Methode eingeschlossen, soll doch andererseits auch Gegenstand der erklärenden »wissenschaftlichen« Psychologie sein und von ihr als ein bestimmtes Moment des mechanischen Ablaufs der psychischen Prozesse begriffen und konstruiert werden können. »Selbst jenes Gefühl des inneren Zusammenhanges und jenes Bewußtsein des wechselseitigen Hinweisens wird für den Psychologen notwendiger- weise selbst ein Bewußtseinsinhalt und verlangt wie jede andere Gefühlsschattierung seine psychophysische Erklärung« (S. 438). »Die Anerkennung einer Ausnahme wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht auf das Ziel der Psychologie« (S. 435). Und zwar sollen beide Anschauungen, die erkenntnistheoretische, die von den Aktendes wirklichen Objekts handelt, und die psychologische, welche auch ihre eigene erkenntnistheoretische Voraussetzung wieder psychologisch kon- struiert, nach Münsterbergs Ansicht durchaus nebeneinander be- stehen können. Man kann einerseits die Sache so ansehen, wie sie die Erkenntnistheorie auffaßt, und kann sie andererseits so ansehen, »als ob« alle psychischen Vorgänge, den Entschluß, sie so anzusehen und die Ausführung desselben eingeschlossen, lediglich Erzeugnisse eines methodisch konstruierbaren psychischen Mechanismus seien. Die
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismos. Echte und imechte Formen. 83
Yermischung dieser beiden Standpunkte, »die zu überwinden das Hauptziel unserer gesamten Untersuchungen ist« (S. 444), ist es, welche allein Verwirrung stiftet Beide sind völlig getrennt und können garnicht miteinander kollidieren. »Die Erkenntnistheorie spricht von den Akten und Objekten des wirklichen Subjektes, die Psychologie von den Objekten des psychologischen Subjektes; eine Übereinstimmung ist da ebenso unmöglich wie ein Konflikt« (S. 165). Alle Einwürfe gegen den Parallelismus beruhen eben auf der »Verwechslung zwischen geistiger Wirklichkeit und psychologischem Tatbestand« (S. 438). Münsterberg legt großes Gewicht auf diesen Punkt; ihn festzustellen und gegen alle Einwürfe zu sichern ist, wie er wiederholt betont, das Hauptziel der gesamten, den ersten Band seiner »Orundzüge« füllenden Untersuchungen. Begreiflich genug, denn mit diesem Punkte steht und fallt seine ganze Auffassung des Verhältnisses von Erkenntnis- theorie und Psychologie, steht und fallt sein Versuch, die Auffassung der Seele als eines bloßen Mechanismus psychischer Elementarprozesse und den psychophysischen Parallelismus festzuhalten und durchzu- fuhren und doch auch zugleich der lebendigen, in ganz andere Richtungen weisenden unmittelbaren Erfahrung gerecht zu werden. — Aber eben dieser Punkt bildet den locum minimae resisteniiae seiner ganzen Philosophie, seine Ansicht über das Verhältnis von Erkenntnis- theorie und Psychologie ist unhaltbar. Das Zaubermittel, dessen er sich bedient, um ein friedliches Nebeneinanderhergehen so heterogener und entgegengesetzter Anschauungen möglich zu machen, ist schließ- lich, mag Münsterberg es zugestehen oder nicht, nichts anderes als eine neue Form der alten und verbrauchten Lehre von der doppelten Wahrheit. Und damit ist der ganze Versuch gerichtet »Es kann nicht etwas erkenntnistheoretisch wahr und psychologisch falsch sein«,^) man kann nicht die ganze Psychologie auf bestimmte erkenntnis- theoretische Voraussetzungen gründen und dann diese Voraussetzungen selbst wieder psychologisch zerstören. Man kann nicht die Psycho- logie erst auf Erkenntnistheorie gründen und sodann die Erkenntnis- theorie durch die Psychologie ad absurdum führen. Ist das freie und handelnde Subjekt der unmittelbaren inneren Erfohrung in Wahrheit das »wirkliche« Subjekt, die »wissenschaftliche« Psychologie mit ihrer Seelenauffiussung und ihrem psychophysischen Paralielismus aber nur eine künstliche und willkürliche Schöpfung desselben, so kann das »wirkliche« Subjekt und sein unmittelbares Erleben und Fühlen ebenso-
1) Stnmpf , Psychologie und Erkenntnistheorie, München 1891, S. 18.
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84 Erster Abschnitt. Der psychophysische Parallelismos.
wenig psychologisch konstruiert werden, als, um ein recht einleuch- tendes Beispiel zu wählen, das Bewußtsein, welches die Voraussetzung der Materie bildet, als ein Produkt der Materie selbst angesehen werden kann. Wird aber das wirkliche Subjekt und sein »freies«, unmittelbar erlebtes Wirken, das »freie« Hervorbringen der psycho- logischen Theorie eingeschlossen, wirklich psychologisch konstruiert, d. h. von der Psychologie als das notwendige Ergebnis des Spiels der den psychischen Mechanismus bildenden, den körperlichen Prozessen parallel gehenden psychischen Elementarprozesse begriffen und erklärt, so hört es auf, ein wirkliches Subjekt zu sein: es wird zu einer wiederum psychologisch erklärbaren Illusion, der nicht mehr ob- jektive Wahrheit zukommt als der Wahnvorstellung eines Irrsinnigen, der sich einbildet, ein König zu sein. Teriium non datur!
So wenig wie das Kantische Postulat der Freiheit Geltung haben kann, wenn, wie Kant gleichfalls lehrt, alles psychische Ge- schehen ausnahmslos determiniert ist, so wenig die Werturteile der Ritschlschen Schule irgend welchen objektiven Wahrheitsgehalt haben können, wenn die Auflösung des gesamten Weltgeschehens in einen lückenlosen mechanischen Kausalzusammenhang objektiv wahr ist, — so wenig kann auch alles, was Münsterberg in erkenntnis- theoretischer Hinsicht vom wirklichen Subjekt, von seinem freien Tun und Handeln sagt, wahr sein, wenn die Psychologie, von der Auffassung der Seele als einer Vielheit psychischer, einen psychischen Mechanismus bildender Elementarvorgänge ausgehend, dieses »freie« Tun und Handeln mit ihren Mitteln zu erklären, d. h. als das Er- gebnis des psychischen Mechanismus zu konstruieren vermag. Ein Subjekt, dessen gesamte Tätigkeit ausnahmslos in dieser. Weise kon- struiert ist, hört auf, ein freies zu sein: die Erkenntnistheorie, welche Münster borg der psychologischen Konstruktion gegenüberstellen möchte, wird von dieser überflutet und verschwindet in den alles mit sich fortreißenden Strudeln der Psychologie. Indem aber die Psychologie die Erkenntnistheorie unterhöhlt und sie schließlich in sich begräbt, hört sie selbst auf, ein künstliches und willkürliches Produkt des »wirklichen« Subjekts zu sein, werden ihre Ergebnisse aus provisorischen zu definitiven von absoluter — metaphysischer — Gültigkeit Gibt es für die mechanistisch -pluralistische Auffassung der Seele nichts, das sich nicht völlig durch sie erklären ließe, kann diese Theorie alles ^ was gegen sie zu sprechen scheint, mit ihren Mitteln erklären, so ist die Seele wirklich nichts anderes als ein psy- chischer Mechanismus, so ist das mechanische Geschehen, in welchem
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Eohte und unechte Formen. 85
das Seelenleben aufgeht; das wirkliche Geschehen, das »wirk- liche Subjekt« mit allen Eigenschaften, die ihm Münsterberg bei- legt, aber eine bloße Fiktion, eine Einbildung, deren Entstehung wiederum den Gegenstand psychologischer Untersuchung und Er- klärung bilden kann und. muß. Mit der Lehre von der doppelten Wahrheit ist kein Staat mehr zu machen, für die eine Seite der Alter- native muß man sich entscheiden. Auch der Ausweg, den man in der Naturwissenschaft hat: daß die Physik mit ihren Konstruk- tionen lediglich Erscheinangen erkläre, die Metaphysik aber die Dinge an sich, ist hier nicht möglich. Denn die von der inneren Erfahrung bezeugten Vorgänge in unserer eigenen Seele sind eben keine Erscheinungen, sondern sind wirklich; wenn nun die Psycho- logie sie als Ergebnisse des Wirkens des psychischen Mechanismus zu erklären vermag, so sind sie auch in Wahrheit nichts anderes, und die psychologische Theorie, welche sie so erklärt, ist eine wahre Theorie. Und ebenso ist dann auch die Theorie des psycho- physischen Parallelismus, welche mit jener psychologischen Theorie verknüpft ist, mehr als »die provisorische Antwort auf die provisorischen Fragen einer provisorischen Wissenschaft« , sie ist dann die endgültigeFormulierung des wirklichen Verhältnisses der Seele zum Leibe, des Körpers zum Geist Jede andere Auffassung dieses Verhältnisses ist alsdann falsch, und wenn wir nun metaphysisch uns eine abschließende Ansicht über den Zusammenhang der Dinge bilden wollen, so müssen wir das in einer Weise tun, welche die vom psychophysischen Parallelismus vertretene Wahrheit respektiert und un- angetastet läßt Das ist eine Konsequenz, der sich niemand entziehen kann, und auch Münsterberg kann es nicht Auch bei ihm spielt allen noch so ehrlich gemeinten Versicherungen des Gegenteils zum Trotze die pluralistisch -mechanistische Psychologie und der psycho- physische Parallelismus eine ganz andere als die ihm offiziell zuge- gewiesene Rolle. Die als die >höhere« Auffassung der Dinge gepriesene Ansicht vom »stellungnehmenden« Subjekt, seinen Eigenschaften und Leistungen dagegen ist, bei Lichte besehen, eine über der Wirklich- keit ohnmächtig und gestaltlos schwebende bloße »Idee«, der zwar die nötige Eeverenz erwiesen, der aber ein aktives Einwirken auf die Gestaltung unserer wissenschaftlichen Weltanschauung nicht ge- stattet wird. Wie es um die Bealität des Münsterbergschen ein- heitlichen Seelensubjekts tatsächlich bestellt ist, mag man daraus ab- nehmen, daß er sie mit derjenigen des »Sozialsubjekts«, der Volksseele und des Zeitgeists auf eine Stufe stellt (S. 100): sie alle sind eben in
86 Erster Abschnitt. Der psychophysisohe Parallelismns.
Wahrheit Fiktionen, aus erkenntnistheoretischen, methodologischen oder auch vielleicht aus Gründen der Pietät festgehaltene »Ideen«.
Es wird, wie Wund t ganz richtig urteilt (Philos. Studien X. S.48), eine Verbeugung gegen Eant und Schopenhauer gemacht und alsdann die ganze »höhere« Ansicht mit ein paar verbindlichen Worten höflich beiseite geschoben. Die pluralistisch -mechanistische Psycho- logie und der psychophysisohe Parallelismus behaupten das Feld.^)
In Bezug auf die Modalität des psychophysischen Parallelismus, d. h. in Bezug auf die Frage, ob derselbe als lediglich empirischer Standpunkt von empirisch bedingter Geltung bezw. als eine durch erkenntnistheoretische Rücksichten bedingte wissenschaftliche Fiktion oder als eine naturphilosophische Theorie dogmatischen Charakters zu behandeln sei, lautet demnach unsere Antwort, daß die erstere An- sicht unmöglich ist, daß der psychophysisohe Parallelismus wenn über- haupt so jedenfalls nur ohne alle Yerklausulierung als wahre, für unsere metaphysische Anschauung bestimmende und maßgebende An- sicht über das Verhältnis des Leibes zur Seele angestellt und ver- treten werden kann.
2. Quantität Partieller und nniverseller Parallelismas.
Es fragt sich, ob wir annehmen müssen, daß — wie der uni- verselle Parallelismus behauptet — wie jedem psychischen ein phy- sischer, so auch jedem physischen ein psychischer bewußter oder auch
1) Nicht unrichtig urteilt aach £. v. Hart mann: »Physiologische Erklämngs- versnohe vom Standpunkte des erkenDtnistheoretischen Bewußtseins sind nur reines Oankelspiel, mit dem man sich selbst und andere täascht.« Mod. Psychologie S. 430, vgl. auch S. 436. Und ganz gat sagt Drews (E. v. Hartmanns phil. System, Heidelberg 1902, S. 116/117): »Wir sollen zwar aas der Erkenntnistheorie gelernt haben, daß alle spekulative Philosophie nur »BegrifEsdichtungc, also, als Philosophie genommen, bloße Illusion sei, aber wir sollen uns der so bewußt gewordenen Illusion bei Leibe nicht entschlagen, sondern dieselbe aU bewußte Illusion weiter konservieren und kultivieren. Ja, sogar auf der bewußten Selbsttäuschung dieser Fiktionen sollen die höchsten Güter der Menschheit, Beligion und Sittlichkeit, ruhen und sich gründen. Die bisher unbewußte Illusion sollen wir als »bewußte Hlusionc, als eine Art bewußte Selbsttäuschung wissenüich, d. h. als Lüge festhalten; diese Lüge sollen wir hätseheln und die edelsten Kräfte unseres Geistes auf ihre Aus- bildung und Ausschmückung verwenden ; auf dem Fundament der so gehätschelten Lüge endlich sollen wir das Gebäude der Religion und SitÜichkeit errichten, das unser Verhalten zum Absoluten und zu den Mitmenschen bestimmt, die Lüge soll die Basis unseres gesamten praktischen Verhaltens, unseres höheren Triebs-, Ge- fühls- und Vorstellungslebens bildenc. In der Tat, darauf kommt es tatsächlich schließlich hinaus, in diesen, von Drews gegen F. A. Lange gerichteten Worten ist die Bilanz der Zweiseelentheorie, die auch Münsterberg verficht, gezogen.
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 87
unbewußter Vorgang entspricht, die beiden Reihen sich also gleich lang erstrecken und sich in allen Punkten decken, — oder ob, wie das die Meinung des partiellen Paralleiismus ist, zwar jedem psy- chischen ein physischer, aber nicht auch umgekehrt jedem physischen ein psychischer Vorgang entspricht, vielmehr nur mit bestimmten nervösen Prozessen in den lebenden Wesen psychische Begleit- erscheinungen verknüpft sind, so daß also nur die physische Reihe eine ununterbrochene ist, während die psychische vielfache Unter- brechungen aufweist Es ist mir nicht zweifelhaft, daß von diesen beiden Formen des Parallelismus nur die erstere, der universelle Parallelismus, wie ihn namentlich Fechner und Paulsen vertreten, eine echte Form des Paralleiismus darstellt, die letztere dagegen, der partielle Parallelismus, eine unechte Form, einen Pseudo- Parallelismus bedeutet Denn, wie ich schon in einer früheren Arbeit^) ausführte, wenn wir nicht allen,, sondern nur bestimmten bevorzugten physischen Vorgängen, etwa gewissen, eine gewisse Intensität besitzenden ner- vösen Prozessen in den Körpern lebender Wesen psychische Begleit- erscheinungen korrespondieren lassen, so bleibt uns, wollen wir diese psychischen Begleitvorgänge nicht als ganz zufällige und gänzlich ursachlose Ereignisse ansehen, nichts anderes übrig, als in der besonderen Natur und Beschaffenheit der betrefPenden physio- logischen Vorgänge den bestimmenden Grund dafür zu sehen, daß hier psychische Begleiterscheinungen auftreten, die sonst fehlen. Damit aber lassen wir tatsächlich das parallelistische Prinzip fallen und kehren zu der materialistischen Auffassung zurück, die in der unglaublich feinen und unsäglich komplizierten Struktur, welche die Materie im Nervensystem und Oehim zeigt, ja einen genügenden Erklärungsgrund für das Auftauchen psychischer Vorgänge zu be- sitzen meint') Denn warum fehlen denn die psychischen Begleit-
1) Leib u. Seele, Zeitschr. f. Phil. u. phil. Er., Bd. 114, S. 10.
2} So Spaulding (Beitrage z. Kntik d. psychophys. Parall. v. Standpunkte der Energetik, Halle 1902, S. 81, 82, 84, 85 u. a.), der aher seltsamerweise die Erzeugung des Psychischen durch physische Ursachen für mit dem Parallelismus sowohl als dem Gesetz der Erhaltung der Energie völlig vereinbar hält und diese »allein berechtigte c Deutung des Parallelismus der »traditionellen« Auffassung des- selben entgegensetzt (8. 89). Hierüber später mehr. — Oder will man, um dieser Eonsequenz zu entgehen, sich zu der von Ladd, Philosophy of Mind S. 328, 329, ad (tbsurdum geführten »monistischen« Ansicht bekennen, daß die starke Intensität der mit psychischen Vorgängen verbundenen physiologischen Prozesse das »Absolute« veranlasse, in diesen Fällen auch die andere ihm mögliche, die psychische Seite hervorzukehren ?
88 £rster Absohnitt. Der psychophysische Parallelismos.
erscheinuDgen bei den Torgängen in der anorganischen Natur und bei vielen Yorgängen innerhalb der lebendigen Körper? Offenbar doch nur deshalb, weil diese Vorgänge nicht geeignet, nicht im stände sind, ein psychisches Epiphänomen hervorzurufen. Mit diesen Vor- gängen hat die Natur eben keine psychischen Vorgänge verknüpft Ebenso wie hier aber die besondere Natur der physischen Vorgänge der Grund ist, weshalb sich keine psychischen Erscheinungen ein- stellen, ist überall da, wo solche auftreten, die besondere Natur der physischen Vorgänge auch der Grund, daß sie auftreten, und eine Ansicht, die zu dieser Konsequenz führt, unterscheidet sich vom Materialismus höchstens dem Namen, nicht aber der Sache nach.
Wollen wir nun aber andererseits die materiellen Nerven- und Ge- himprozesse als den erzeugenden und bestimmenden Grund der mit ihnen verknüpften psychischen Erscheinungen nicht gelten lassen, so bleibt uns doch, wollen wir diese letzteren nicht als gänzlich ur- sachlos aus dem Nichts auftauchend hinstellen, nur übrig, sie anandere^ ihnen vorangehende und sie verursachende psychische Vorgänge anzuknüpfen, die nun, dem Farallelismusprinzip entsprechend, ebenso ihre physischen Parallelvorgänge haben müssen als die, welche wir auf sie zurückführten. Auch diese Vorgänge müssen wieder ihre psychischen Ursachen haben, von denen das gleiche gilt, und so treibt denn die Konsequenz des parallelistischen Gedankens unweiger^ lieh dahin, allen physischen Vorgängen ohne Ausnahme eine psychische Innenseite zuzuschreiben, geistiges Sein sich durch die ganze Natur hindurch in lückenlosem Zusammenhange erstrecken zu lassen: die Theorie der Allbeseelung ist eine solche, ohne welche der psychophysische Parallelismus nicht gedacht werden kann, mit welcher er steht und fallt. Ob man, um sie durchzuführen, zu dem Begriffe unter- oder selbst unbewufster psychischer Vorgänge greifen muls und darf, ist eine Frage, die uns hier noch ebensowenig wie die nach der Berechtigung des Parallelismus überhaupt zu beschäftigen hat: genug, dafs in irgend einer Form überall, wo physische Vor- gänge sich abspielen, auch psychische Prozesse vorhanden sein müssen und die Kette der psychischen Vorgänge sich genau so weit erstreckt, wie die der physischen.
Spinoza, der klassische Begründer der modernen monistischen Weltanschauung, war es, der diese Theorie der Allbeseelung mit Entschiedenheit vertrat; in der Gegenwart haben sich, wie bemerkt, besonders Fechner und Paulsen zu ihr bekannt, sie mit neuen Argumenten zu stützen und gegen alle Einwände zu verteidigen ge-
Erstes Kapitel. Die Formen des Parallelismus. Echte und unechte Formen. 89
sucht »Kein psychischer Vorgang ohne begleitende Bewegung, kein Bewegungsvorgang ohne begleitenden psychischen Vorgang«, mit dieser kurzen und treffenden Formel charakterisiert Paulsen S.